

Stachelig, schwer und superheiß
Am Morgen hatten sie noch ein Pferd gestreichelt und Landluft geschnuppert, mittags unter dem Auto gelegen und bei brütender Hitze den längst überfälligen Ölwechsel erledigt und am Abend befanden sie sich schon in einem Vorort von Melbourne. Weil die Parkplätze am Meer ziemlich überwacht wurden, verbrachten sie die Nacht am Bowlesclub, der vor Frauen und Männern mit weißen Haaren übersprudelte. Dort störte sich keiner an ihrer Anwesenheit und der angrenzende Park stellte eine tolle Kulisse für das goldene Licht des Sonnenuntergangs dar.
Von Melbourne erhofften sie sich eine große Künstler- und Kulturszene, moderne Gebäude und trendige Viertel. Mit dem üblichen Stadtverkehr kämpften sie sich bis zu einem Parkplatz etwas außerhalb durch und schlenderten in die Innenstadt. Da gerade Sonntag war, lag der Hafen mit den privaten Booten und Jachten ziemlich verlassen da. Neu gebaute Bürohäuser, Wolkenkratzer und Wohntürme drängten sich dicht an dicht. Manche kreativ gestaltete Fassade war auch darunter. Die Restaurants, Bars und Läden zeigten sich ungewohnt leer gefegt. Nur ein paar Touristen stromerten durch die Gassen. Nach einer kurzen Bahnfahrt mit der alten Touristenstraßenbahn mit Holzverkleidung und quietschenden Rädern änderte sich das Stadtbild. Auf einmal waren viel mehr Leute unterwegs und es gab auch ältere Bauten, Brücken, Museen und die berühmte Künstlergasse voller street art zu sehen. Außerdem marschierten die beiden über den bekannten „Queen-Victoria-Markt“, erstanden günstige Weintrauben zum direkt Naschen und beschauten die Obst- und Gemüsestände, Delikatessenläden und kaufwütigen Leute. Über einen weitläufigen Park erreichten sie im Anschluss das Parlamenthaus. Die Ruhe nach dem Sturm fanden sie in der „St. Paul`s Cathedral“ neben dem „Federation Square“. Dann erklärten sie den Tag für beendet und machten sich am „Yarra River“ entlang wieder auf den Heimweg. Für die anstehende Nacht fanden Deborah und Sven diesmal einen Parkplatz am Meer, der neben dem Industriehafen lag und nicht zu stark frequentiert war.
Der zweite Tag in Melbourne startete grün. Viele bunte Blumen, Früchte und Pflanzen säumten die Fußgängerwege des Botanischen Gartens. Nach dem entspannten Spaziergang ging es weiter zum „Shrine of Remembrance“, einem imposanten Bau von 1934. Dieses Kriegerdenkmal bot neben einem guten Ausblick auf die Stadt ein umfassendes Museum zur Erinnerung an die Kriege, in denen australische Frauen und Männer mitwirkten. Da das nicht das erste Kriegerdenkmal war, das Deborah und Sven in Australien besichtigten, begnügten sie sich mit einem kurzen Rundgang und schlugen dann den Weg über das Regierungsgebäude zur „National Art Gallery“ ein. Die größte und älteste öffentliche Galerie Australiens beeindruckte die Deutschen mit modernen, klassischen und internationalen Stücken. Auch sächsische Teile waren darunter.
Nach diesem Stadtrundgang hatten sie einen Mordshunger, kauften schnell noch ein paar Zutaten ein und fanden sich dann an ihrem Platz am Meer wieder. Es gab Spaghetti mit Pilzsoße und einen entspannten Abend am Meer. Damit war ihr Besuch in Melbourne auch schon wieder vorbei, es ging weiter nach Westen, nach Geelong. Nach einer weiteren Nacht mit wundervollem Ausblick über das Meer und die etwas kleinere Industriestadt stand nun die ernsthafte Jobsuche an. Die sieben Monate in Australien haben Deborah und Sven gelehrt, dass man hier eigentlich ganz gut leben kann. Vor allem die Freiheit im Auto zu Leben und Herumzureisen war bisher eine tolle Erfahrung, die sie noch eine Weile auskosten möchten. Ihre Chance, in diesem schönen Land arbeiten zu können, möchten sie nutzen. Wenn sie nun länger bleiben wollen, müssen sie mindestens 88 Tage Farmarbeit in einer abgelegenen Region Australiens vorweisen können, um damit das zweite Jahr „Working Holiday“ für Australien zu beantragen. Nun haben sie schon die vorhergehenden Wochen genutzt, um sich ein bisschen zu informieren. Ihren englischen Lebenslauf und das Anschreiben haben sie an unzählige Arbeitgeber geschickt, aber nie etwas zurück bekommen. Natürlich sind sie nicht die einzigen, die diese 88 Tage voll bekommen wollen, denn mehr als 50.000 Backpacker kommen jährlich schon aus Deutschland und wollen genau das Gleiche, ihren Aufenthalt verlängern. Gerade als Pärchen stellt die Jobsuche dabei eine besondere Herausforderung dar. Nach Wochen des Suchens und Verzweifelns war endlich ein Angebot in Sicht. Am Telefon hatten sie nur irgendwas mit „pears“, also Birnen, verstanden und freuten sich schon auf die unkomplizierte Frucht. Aber hatte die Dame nicht etwas von „prickly“ erzählt? Nach schnellem googeln kam dann der Schock, es ging um „prickly pears“, also um Kaktusfeigen! Lachanfälle wechselten sich mit Kälteschauern ab. Dann kamen die Fragen. Wie sollten sie denn diese stacheligen Dinger pflücken? Und würde der Stückzahllohn ausreichen? Wenigstens versprach ihnen die Arbeitgeberin einen Stellplatz auf dem Gelände mit Toilette, Dusche und Küche.
Deborah und Sven füllten alle Tanks und die Vorräte nochmal auf und machten sich einen Tag später auf den Weg nach Glenrowan, das um die 250 Kilometer nördlich von Melbourne liegt. Die Umgebung wurde immer trockener und verlassener. Am Abend erreichten sie das kleine Dorf und die staubige Auffahrt zur Farm. Überall lag irgendwas herum, dann kamen zwei Hunde angeprescht und begrüßten die beiden Neuen stürmisch. Die Arbeitgeberin, Meredith, kam auf einem Stock gestützt aus der Scheune getippelt und zeigte ihnen direkt die umständliche Arbeitsmontur, die sie am nächsten Tag tragen würden. Einen Overall, eine Schürze, Armschützer, Gummihandschuhe, darüber Lederhandschuhe, eine Haube, die Schutzbrille und natürlich das Messer und die Tasche, in der die Kaktusfeigen landen sollten. Das war schon mal eine ganze Menge Krimskrams. Bei der herrschenden Hitze konnten sie sich schon ganz gut vorstellen, wie sie ins Schwitzen geraten würden. Meredith brachte sie mit einem Buggy voran auf ihren Platz, wo sie übernachten konnten und das Dixiklo und die Dusche – aus drei Wellblechwänden, einem Duschvorhang und einem Schlauch an der Decke – vorfanden.
Die Nacht war kurz, sie standen noch vor dem Sonnenaufgang auf, um möglichst vor der größten Mittagshitze fertig zu sein. Das Anziehen dauerte schon fast eine halbe Stunde, dann bekamen sie kurz die Funktionsweise des uralten Traktors gezeigt und dampften schließlich mit ein paar leeren Styroporboxen auf den Anhängern zum nahen Kaktusfeld. Über zwanzig bestimmt 500 Meter lange Reihen mussten in den nächsten Wochen abgeerntet werden. Die Tochter der Familie zeigte den beiden notdürftig was sie machen sollten und ließ sie schnell wieder allein. Dann mal los. Die Früchte sollten immer mit einem kleinen Stückchen Blatt abgeschnitten werden und durften keinesfalls mit dem Messer beschädigt werden. War ein schwarzer Punkt auf der Frucht zu sehen, konnte man diese gleich entsorgen. Zunächst merkten sie von den Stacheln nichts. Mit der Zeit fanden aber doch einige davon den Weg durch die Handschuhschichten und piksten unangenehm in die Finger. Im Laufe der Zeit sollten sie die Stacheln noch überall zu spüren bekommen, auch im Gesicht, am Hals, in den Haaren, im Mund und den Augen. Mit jeder Stunde wurde es wärmer und wärmer und die Taschen vor dem Bauch immer schwerer zu tragen. Bis um eins hielten sie es aus, danach mussten die beiden raus aus der Hitze. Völlig verschwitzt entstiegen sie den lästigen Klamotten. Sie hatten sich ganz gut angestellt und ein paar Boxen zusammen bekommen. Leider wurde es am Nachmittag noch heißer und die Ruhezeit nach der Dusche nicht unbedingt angenehm. Zum Glück brauchte Meredith am vierten Tag Hilfe beim Verpacken, sodass Deborah und Sven nun in der Scheune die Früchte am Band sortieren und verpacken konnten. Das war um einiges erträglicher und vor allem schattig.
Die 17 Kilometer entfernte Stadt Wangaratta war eine gute Erholung für freie Tage, für Einkäufe und um einfach mal wieder etwas anderes zu sehen. Andere Backpacker kamen und gingen, manche von ihnen hielten es nur für ein paar Stunden aus und ergriffen dann schon wieder die Flucht. Nach drei Wochen war die Saison leider schon wieder beendet, die Deutschen hatten sich gerade mit ihrem Job am Band angefreundet. Also fuhren sie erneut nach Geelong und die Suche ging von vorne los.
Vor dem nächsten Job lagen aber umwerfende Berge und die Great Ocean Road, die Ihr im nächsten Beitrag bestaunen könnt. Und ob es weiterhin stachelig bleibt, erfahrt Ihr dann auch. Bis bald!
8 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Da habt ihr die anstrengendste Arbeit, die man sich wohl vorstellen kann, nun schon geschafft! Also kann es nur noch besser werden, oder? Dass ihr die Freiheit des aktuellen Alltags noch ein bisschen nutzen wollt, kann ich gut verstehen. So ohne Termine und feste Vorgaben unterwegs zu sein, würde mir auch gefallen. Ist es eigentlich theoretisch möglich, das Auto irgendwann mit nach Neuseeland zu nehmen oder ist damit automatisch Schluss, wenn ihr Australien verlasst?
Hey, da gibt es sicherlich noch viel schlimmere Arbeiten, aber es war nicht gerade der entspannteste erste Job. Trotzdem waren wir froh überhaupt eine Arbeit gefunden zu haben. Die Chance, das zweite Jahr zu nutzen, wollen wir uns schon nicht entgehen lassen, ist einfach ne coole Sache. Nach Neuseeland verschiffen ist theoretisch und praktisch möglich, nur lohnt es sich finanziell in keiner Weise. Ich hatte mich da schon mal informiert und die Preise sind einfach zu hoch (um die 4000-5000 Euro). Abschied von Australien ist also auch Abschied von der Tilly. Es sei denn ihr wollt sie hier übernehmen? 😉
Endlich wieder ein Bericht! Danke!
Habt Ihr schon was Neues gefunden?
Liebe Grüße Eure Mutsch
Hallo ja dazu morgen mehr 🙂
Nö, lass mal… . Sollte ich Europa überhaupt irgendwann mal verlassen, was in euren Augen mittlerweile wahrscheinlich spießig klingt, ist hoffentlich Israel das erste Ziel. Australien sieht natürlich auch sehr gut aus, aber diese Masse an Touris würde mich auf Dauer schon nerven und zu viert in einem Auto zu wohnen, ist bestimmt nicht sehr empfehlenswert. Viele Grüße
Das klang in unseren Ohren schon immer spießig 🙂
Welche Masse an Touris? Die verteilen sich in diesem riesigen Land sicherlich viel besser als im kleinen Israel. Aber ich kann dich verstehen mit deinem Reisewunsch, Israel ist auf jeden Fall auch eine Reise wert (so wie fast alle anderen Länder auf unserer Erde?! 😀 ).
Im Auto wohnen hat tatsächlich so viele Vorteile, dass wir schon überlegen, wie man das in Deutschland umsetzen könnte. Auch für vier Leute gibt es ja Autos die groß genug sind 😉
PS: Sven hat gerade herausgefunden, dass rund 4 Millionen Touris jährlich nach Israel reisen, nach Australien rund 7-8 Millionen. Aber schau dir mal den Flächenunterschied an, das ist ja gewaltig! Australien ist fast 350 mal so groß wie Israel…da verteilen sich die Touris ja ganz anders und hier gibt es definitiv einige Plätze, wo du den ganzen Tag nackig rumrennen kannst, ohne dass dich jemand sieht 😉
OK, ich hätte gedacht, es sind mehr in Australien. Das ist natürlich interessant… . Ich denke, man kann auch hier im Auto oder so ähnlich wohnen. Es fehlt ja zum Beispiel bei einem Wohnmobil kaum an Annehmlichkeiten, nur dass viel weniger Grundfläche als bei einer normalen Wohnung vorhanden ist. Die Frage ist doch, ob man ein mobiles Haus benötigt oder nicht, denn schon eine kleine Wohnung ist doch viel nachhaltiger und günstiger als eine (zu) große. Tatsächlich gibt es auch Leute, die ganzjährig im Bauwagen, Wohnmobil oder Wald leben; auf jeden Fall eine Alternative zur festen Behausung. In welche Richtung habt ihr gedacht?
Ja klar, warum sollte man das nicht können?! Nur rechtlich gibt es da einiges zu beachten, im Bauwagen oder so zu wohnen ist ja in Deutschland nicht gerade “vorgesehen” 😀
Das stimmt, die Frage ist, was man überhaupt benötigt und das ist echt nicht viel, wie wir in unseren sieben Monaten in der Tilly erfahren durften. Ob wir das in Deutschland genauso haben wöllten ist nochmal eine andere Frage.