

Nach Arbeiten kommt Reisen
Im Nullarbor lernt man die spannendsten Charaktere kennen, haben sie gesagt. Aber es ist ziemlich abgelegen, haben sie gesagt. Man gewöhnt sich dran, haben sie gesagt. Sie sollten Recht behalten.
Nach drei Monaten im Nullarbor Roadhouse können wir von uns behaupten, echte Einblicke in die Umgebung einer sehr abgelegenen Raststätte bekommen zu haben. Es gab Höhen und auch Tiefen – man möchte meinen, dass die Weite des Nullarbor auf ihre eigene Art die menschliche Begrenztheit sprengt und eine Verwirrung hinterlässt, die man nur schwer ertragen kann. Sprich, irgendwie schien jeder in diesem verlassenen Viertel der Welt einen Treffer weg zu haben. Aber dazu später mehr.
Unsere Aufgabe bestand darin, in verschiedenen Bereichen des Roadhouses als Allrounder aktiv zu sein. Sven war meist in der Tankstellenschicht oder im Maintenance eingeteilt. Bis auf die Vor- und Nachbereitungen gab es an der Tankstelle außer dem Abkassieren von Kunden und der Freigabe von Zapfsäulen per Mausklick nicht viel zu tun. Deshalb war diese Schicht mit der Wäscherei verbunden. In allen freien Minuten konnte man ihn also beim Bettwäsche in Waschmaschinen und Handtücher in Trockner verladen zusehen. Zwischendurch gab es einige Bettlaken zu falten und zum Ende der Schicht Kopfkissen zu bügeln. Jeder mochte die Tankstellenschicht, da sie ein guter Mix aus Kundenbetreuung und selbstständiger Beschäftigung mit Betttüchern war.
Manchmal traf man Sven auch beim Toiletten putzen, Mülltonnen ausleeren, Duschen reparieren oder Müll verbrennen an. Gemeinsam mit einem Kollegen überwachten sie die Generatoren für die Stromerzeugung und Wasserentsalzung.
Deborah hatte ihren Spaß im Shop und in der Bar, wo zu Beginn ziemlich viel Neues erlernt werden wollte. Die Kassenbedienung und Entgegennahme von Bestellungen war recht einfach, doch wie man guten Cappuccino für den verwöhnten Gaumen der Australier zubereitet und alle Fragen der Touristen richtig beantworten kann, musste sie erst Stück für Stück herausfinden. Dann gab es noch die Reservierungen für Motelzimmer und Campingplätze und natürlich das klingelnde Telefon, das meistens im ungünstigsten Zeitpunkt begann zu schrillen und oft mit vielen „Wie bitte?“ und „Entschuldigung, ich habe Sie nicht verstanden“, beantwortet werden musste. Manchmal lag es an der schlechten Verbindung, manchmal am australischen Slang, der am Telefon hin und wieder nur schwer zu entziffern war. Abends wurde im Restaurant serviert, tagsüber im Café. Und wenn sie noch ein paar Minütchen Zeit hatte, wusch sie in der Küche Geschirr ab.
Bei der Arbeit, vor allem während der Barschicht, kamen wir mit vielen Kunden ins Gespräch und fragten uns gegenseitig aus. Es waren vor allem ältere Pärchen unterwegs, aber auch Backpacker, Arbeiter, Motorrad- und LKW-Fahrer. Wir löcherten die Gäste nach ihrer Fahrtrichtung und ihren Plänen für die nächsten Tage, dann wollten sie von uns meist zuerst wissen, wie wir im Nullarbor gelandet sind. Dass wir ganz normal nach einem Job geschaut haben, konnten sie nicht glauben. Sie dachten, dass doch mehr dahinter stecken musste, aber dem war so nicht. Die folgenden Fragen an uns lauteten: „Wie lange bist du schon in Australien?“, „Findest du es gut hier?“ und „Wo warst du schon überall?“. Dann erklärten wir unsere grobe Route und bekamen anerkennende Blicke für die Vielzahl an Orten, die wir auf dem Kontinent schon besucht haben. Viele Australier sind selbst noch nicht so weit herumgekommen wie wir.
Die Fragerunde ging weiter von der kaum existierenden Freizeitgestaltung im Nullarbor bis zur Unterkunft im Mitarbeiterkomplex. Natürlich gab es auch andere Fragen, geschäftlicher Natur, die mal mehr, mal weniger leicht zu beantworten waren und die Prioritäten der Kunden in solch einem abgelegenen Gebiet sehr gut widerspiegeln. Hier einige Beispiele: Warum ist es so windig? Warum ist der eine Latte Macchiato leichter als der andere? Habt ihr eigentlich Mandelmilch? Ist das wirklich die korrekte Zeit? Wo sind die Toiletten? Kann ich einen Soy Caramel Latte haben, extraheiß bitte? Verkauft ihr frisches Brot? Habt ihr die Zeitung von heute? Wo wohnst du? Gibt es hier wirklich Schlangen? Und Dingos? Sind die gefährlich? Kann ich den berühmten Nullarburger haben? Wo ist die nächste Tankstelle? Was kostet die Nacht im Caravanpark? Habt ihr glutenfreies Brot? Wie kalt wird es hier in der Nacht? Habt ihr auch einen Onlineshop?
Wenn wir mal einen Tag frei hatten, fuhren wir zu den Klippen ans Meer oder ins Hinterland zu den drei verschiedenen Höhlen, die mitten im Nichts weit in die Tiefe reichen. Auch der nahegelegene Aussichtspunkt „Head of Bight“ war ein Touristenmagnet, weil man von dort aus in den Wintermonaten Wale beobachten konnte. Als Mitarbeiter des Roadhouses hatten wir freien Zutritt und nutzten die Möglichkeit gleich in den ersten Wochen. Zum Ende der Saison hatten wir trotzdem Glück und konnten ungefähr sechs Wale mit Kälbern sehen und hören. Das war ein richtig tolles Erlebnis!
Abends wurden wir meist mit einem spektakulären Sonnenuntergang verwöhnt, morgens nach dem kurzen Arbeitsweg mit Fahrrad (wir wohnten circa einen Kilometer vom Roadhouse entfernt im Mitarbeiterkomplex in zwei kleinen Zimmern) mit gutem Baristakaffee und konnten sowieso den ganzen Tag über Essen aus der Küche bestellen. Vom frischen Wrap über Toasties, Ei und Schinken auf Toast, Müsli, Burgern, Hot Dogs, Pommes und Pies bis hin zu Sandwiches war alles dabei. Am Abend gab es dann Schnitzel, Steak, Hühnchensalat, Rippchen, Snapper oder Whiting und vieles weitere mehr zur Auswahl. Wenn man rechtzeitig bestellte, konnte man sein Essen direkt zur Pause verspeisen oder nach der Schicht mit nach Hause nehmen. Natürlich hatte man nach drei Monaten langsam alle Gerichte satt, doch es war für uns schon ein toller Luxus, mal nicht Kochen, Aufwaschen und Einkaufen zu müssen.
Wäre da nicht dieser Vorfall gewesen, dann wäre es eine richtig tolle Zeit gewesen. Aber ein betrunkener australischer Kollege musste ja mitten in der Nacht einen Reifen unserer Tilly aufschlitzen! Wir konnten es nicht fassen. Leider gab es keine Beweise, dass dieser eine Kollege, von dem jeder wusste, dass er es gewesen sein musste, den Reifen aufgeschlitzt hat. Nur eine Blutspur. Und er konnte sich natürlich angeblich an nichts erinnern. Er arbeitet immer noch dort als wäre nichts gewesen. Gut dass die Manager zumindest für den Schaden aufkommen und uns zwei Reifen bezahlen, die Felgen müssen wir selbst beisteuern. Doch ohne diesem Zwischenfall hätten wir uns einige graue Haare ersparen können.
Nach genau drei Monaten mussten wir uns wieder verabschieden, um Deborahs Mutti und ihren Bruder in Australien zu begrüßen und mit ihnen einen Roadtrip von Perth nach Sydney anzugehen. Daher packten wir wieder alle Sachen in unsere Tilly und machten uns auf den Weg nach Perth, um die beiden vom Flughafen abzuholen. Wir hatten eine Woche Zeit und wollten Weihnachten gern in einem Nationalpark bei Esperance verbringen. Gerade an dem Tag, an dem wir aufbrechen wollten, war Buschfeueralarm auf dem Highway Richtung Westen. Wir spielten schon mit dem Gedanken, doch noch eine Nacht zu bleiben, als gerade die Straße wieder geöffnet wurde. Also starteten wir durch und waren schon am übernächsten Tag in Esperance.
Die menschenleeren und perfekten Strände mit weißem Sand und türkisfarbenem Wasser waren immer wieder unbegreiflich schön. Im Nationalpark fanden wir einen superschönen Strand für die Nacht und viele schöne Plätze für den nächsten Tag zum Verweilen und Offroad fahren. Nach einer weiteren Nacht am Strand besuchten wir die für ihre Schönheit bekannte „Lucky Bay“ und legten einen Badetag ein. Am Abend ging es zurück nach Esperance zu einem Deutschen, den wir im letzten Jahr schonmal besucht hatten. Mit einer gehörigen Portion Gastfreundschaft begrüßte er uns und servierte leckeren würzigen Gulasch auf deutsche Art mit australischen Produkten. Das perfekte Weihnachtsessen! Von seiner Terrasse aus konnten wir die eben erst entstandenen Buschbrände im gerade erst besuchten Nationalpark sehen. Aus der Entfernung von etwa 20 Kilometern Luftlinie konnten wir rote Wolken, dichten Rauch und sogar die lodernden Flammen beobachten. Sehr beeindruckend, wie gewaltig die ganzen Buschbrände im Land gerade wüsten!
Auf dem schnellsten Weg fuhren wir in zwei weiteren Tagen nach Perth und freuten uns diebisch über das Wiedersehen mit dieser schönen Stadt. Endlich haben wir den Kreis geschlossen und den weiten Kontinent Australien einmal komplett umrundet! Bei lieben Freunden in Fremantle konnten wir für die nächsten Tage wohnen und nach etlichen Monaten des Wartens einen Teil der Familie bei uns begrüßen.
Jetzt geht es auf zur großen Tour nach Sydney in vier Wochen. Drückt uns die Daumen, dass die Buschfeuer uns nicht den Weg versperren und dass alles gut geht!
Und außerdem ein frohes neues Jahr an alle, bleibt gesund und gesegnet!
11 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Liebe Debbi, ich bin stolz auf dich und deinen Mann!
Obwohl wir uns nur vom Studium kennen, lese ich regelmäßig in eurem Block und bin begeistert!
Ihr macht das super und es macht richtig Spaß eure Beiträge zu lesen!
Liebste Grüße und genießt die herrliche Zeit – man lebt nur einmal! Deine Kathleen
Liebe Kathleen,
das ist ja eine schöne Überraschung von dir zu hören! 👍 Toll, dass dir unser Blog gefällt. Wir genießen das Reisen immer noch sehr 😊 Ich hoffe es geht es dir gut und du genießt deine Zeit genauso. Liebste Grüße von uns beiden aus Australien 😉
Wir wünschen euch ein gesundes, gesegnetes und erlebnisreiches Jahr 2020.🍀
Viel Spaß und tolle neue Erlebnisse und Eindrücke mit eurem Besuch.
Wir sind in Gedanken bei euch!
Liebe Grüße eure Ellis
Liebe Ellis,
danke euch! Das wünschen wir euch auch! Dass ihr uns nicht zu sehr vermisst und bald wieder die sonnigen Tage ☀ mit einem Kaffee ☕ im Garten 🌿 genießen könnt! Wir denken auch oft an euch, seid gesegnet 🕊
Hallo Ihr zwei,
ich wollte mal nachfragen, ob ich euch vielleicht mal ein Eimer Wasser schicken soll um die Brände zu löschen? 😀
Gruß Ede
Ihr Lieben,
euer letzter Beitrag hat mir wieder außerordentlich gut gefallen und die tollen Fotos dazu – eine echte Bereicherung, das sehen zu können.
Ich möchte natürlich Angela und Ephi herzlich grüßen und wünsche euch ein paar wunderschöne, unvergessliche Wochen zusammen.
Man denkt immer, die Brände sind überall und es gibt kein Entrinnen….
Ich wünsche euch brandfreie Zeit, gefahrloses Herumkutschen und Schauen, Staunen und Genießen.
Viele liebe Grüße von Christel
Liebe Christel,
hab vielen Dank für die ganzen lieben Wünsche! Wir haben eine ereignisreiche Zeit zusammen, liebe Grüße zurück von Mutti und Ephi. Alles Gute nach Deutschland! Bis bald 😉
Liebe Tante und Onkel,
wann kommt ihr wieder zurück? Ich vermisse euch. Ich hoffe, ihr kommt irgendwann wieder. Ich mag euch. Ich will mal in euren Wohnwagen steigen. Euer Josia.
Geht es euch gut? Ich kann schwimmen. Ihr habt´s ja schön in Australien! Eure Jamila
Liebe Nichte, lieber Neffe,
schön von euch zu hören und dann noch so liebe Worte!
Uns geht es gut und wir wissen leider noch nicht, wann wir wiederkommen werden.
Cool, dass du mal in die Tilly steigen willst, es macht Spaß da drin zu wohnen!
Wow, Mili kann schwimmen, wir sind stolz auf dich! Kannst du denn schon tauchen?
Wir vermissen euch auch und haben euch lieb 🙂
Eure Debbi und Sven
wenn ich nicht tauchen könnte dann auch nich schwimmen. ich habs im schwimbad gemerkt das ich one hilfsmitel schwimen kann. ich gehe auch gern schopen ich war heut wider schopen.
eure Jamila.
(Soll heißen, sie konnte zuerst Tauchen und hat danach Schwimmen gelernt (in der Schule). Als wir dann im Hallenbad waren, ging es plötzlich ohne Schwimmärmel.)
Das klingt prima, Mili! 🤗 Nun kannst du wohl eher zum Trockenschwimmem übergehen oder dich auf die Bastelei konzentrieren. Kreativ genug seid ihr ja für allmögliche Beschäftigungen. Viel Spaß dabei!