

Wir bleiben in Victoria.
Kartoffeln über Kartoffeln. In der Erde, in großen Holzboxen, in mannshohen Kartoffelsäcken, auf dem Fließband, in der Erntemaschine und im LKW. Natürlich ebenso im Kochtopf, auf dem Backblech und auf dem Teller, denn wie lecker und vielseitig diese Dinger sind, brauchen wir euch nicht zu erzählen. Wochenlang konnten wir selbst geerntete Kartoffeln verspeisen, auch wenn die Erdäpfel dieser Farm vorrangig zur Saatgutproduktion quer durch Australien transportiert werden sollten. Irgendwo in diesem riesigen Land ist immer der Zeitpunkt gekommen, um die Aussaat vorzunehmen und dafür braucht man schließlich wieder eine möglichst junge Generation von Kartoffeln. Die Saatkartoffeln aus Victoria genießen einen wunderbaren Ruf und waren deshalb auch recht schnell und – natürlich schon bevor sie überhaupt aus dem Boden geholt wurden – verkauft. Lediglich zum Ende der Saison sah die Auftragslage durch die Coronakrise etwas dürftig aus, doch Arbeit hatten wir trotzdem genug. Auch beim Zweitprojekt der Farm, den neuen Kühlhäusern, die insgesamt über 3000 Tonnen Kartoffeln oder sonstige Gemüsesorten bis zum gewünschten Zeitraum optimal kühlen und lagern können, war unser Arbeitseinsatz gefragt. Neben stundenlangem Kehren durften wir auch mit dem örtlichen Feuerwehrfahrzeug die riesigen Hallen ausspritzen, bis das Wasser alle war.
Doch hauptsächlich waren wir natürlich zur Kartoffelernte gekommen. Deborah stand meistens neun Stunden auf der Erntemaschine, die Pete, ein langjährig in Australien lebender, gut gelaunter Schotte, über die Äcker jagte. Eine große Metallplatte wird dafür durch die Erde geschoben und nimmt die Erdäpfel auf. Mittels Förderbänder gelangen diese in das Innere der Erntemaschine und müssen dort per Hand von den noch übrig gebliebenen Dreckklumpen befreit werden. Dann landen sie in einem mächtigen Container, der aller zwei bis drei Reihen in die Holzboxen entleert wird. Eine Box hält eine Tonne Kartoffeln. Opa Ron war dann dafür verantwortlich, die Holzboxen mittels Traktor und Hänger zur Farm zu bringen und für Nachschub an leeren Boxen zu sorgen. An warmen Tagen war diese Arbeit schonmal sehr stickig, dreckig und sowieso immer laut. Doch genauso angenehm dadurch, dass man im Stehen arbeiten konnte, nicht schwer heben musste, immer etwas zu tun hatte und viel frische Luft abbekam.
Sven gehörte zur Abteilung Gabelstapler. Die angelieferten Boxen von Opa Ron mussten vom Hänger in die Halle gestapelt werden und wurden zu einer gigantischen Wand von meist fünf bis zu acht Boxen übereinander getürmt. Ein heilloses Durcheinander für Laien, nur Chef Tony wusste, welche Boxen zu welchem Feld gehörten und wie die Sorte hieß und die Generation aussah. Tolle Vintagestempel verrieten die Eigentümer der Boxen und somit auch den Standort, wohin diese geliefert werden würden. Weitere Mitarbeiter bedienten das Fließband, auf dem die gelben Kugeln vorbeisausten und schnell nach ihrem Zustand beurteilt werden mussten. War die Schale in Ordnung oder gab es Wachstumsrisse, Schorf und braune Stellen? Alles, was komisch aussah und den Transport nicht überleben würde, bekamen die Kühe, die schon auf ihre Leckerbissen warteten. Das Fließband am laufenden Band zu füllen, gehörte ebenso zu Svens Aufgaben. In einer Geschwindigkeit, die man sonst nur vom Autoscooterfahren kennt, sausten Sven und Tony in ihren beiden Gabelstaplern in einer perfekten Formation aneinander vorbei und quer durch die Halle, um möglichst konsistent für genügend Nachschub zu sorgen und bereits abgearbeitete Kartoffeln wieder zu verstauen oder von den Boxen in große Säcke umzufüllen.
Irgendwann, nach fast drei Monaten Ernte, war dann auch die letzte Kartoffel aus der Erde geholt. Die Freude bei Tony und Pete war groß. Jetzt hieß es nur noch Sortieren am Fließband und die Halle wieder leer bekommen. Es hatte sich einiges an Arbeit angestaut, was wir nun in ein paar Wochen über das Fließband jagten. Die Kälte des Winters war dabei eine Herausforderung, da wir uns, am Band sitzend, nicht gerade viel bewegten. Umso erholsamer gestalteten sich die Feierabende am Kaminofen. An den Wochenenden erledigten wir unsere Einkäufe und gingen gern im Grünen spazieren. Regelmäßig begegneten wir den Farmboys, die mit ihren Geländemotorrädern, Buggys und sonstigen motorisierten Gefährten die Gegend unsicher machten. Der kleine Billy bediente mit seinen acht Jahren fachmännisch und geduldig große Traktoren und erledigte stundenlang die Arbeit eines Erwachsenen. Aber nicht nur das, auch Gewehre hatten die Racker ab und zu bei sich und erzählten stolz von ihren Erfolgen bei der Fuchs- und Hasenjagd.
Nach einer Weile gehörten wir schon fast zur Familie, bekamen immer pünktlich unsere Brotlieferung von Opa John, manchmal auch Tomaten und sonstige Leckereien. Unsere Kontakte beschränkten sich auf die Leute von der Farm, wodurch wir uns nicht weiter vor dem Virus fürchten mussten. Zum Ende der Saison suchten wir sehr lange nach einer neuen Arbeit. Die benachbarten Bundesstaaten machten ihre Grenzen dicht, wodurch wir dazu gezwungen waren, vermehrt in Victoria nach Jobs zu schauen. Während der wochenlangen Jobsuche versorgten Tony und Pete uns mit weiterer Arbeit und wir konnten im Farmhaus wohnen bleiben. Wir rissen Zäune ab, machten eine Woche lang Holz für die Farm und splitteten dabei so einige Tonnen Eukalyptus. Bekannte von Pete ließen ihre Bäume von ihm fällen, was für uns wieder Aufräumarbeiten und Holzsplitten bedeutete. Vor allem beim Bekannten Adam konnten wir dann noch zwei Wochen lang auf seinem riesigen Grundstück Gärtner spielen, Bäume und Büsche verschneiden, Holz splitten und schichten, eine neue Treppe zwischen zwei Teiche bauen und Grünzeug umpflanzen. Dieser supernette Mann bedankte sich zusätzlich am letzten Abend gemeinsam mit seiner Frau mit einem herrlichen Barbeque mit tollstem Rindfleisch, Kartoffelpüree, frischem Salat und Rotwein. Hoffentlich werden wir dort nicht das letzte Mal gewesen sein.
Nach einigen Wochen hatten wir drei verschiedene Joboptionen. Ein Campingplatz an der Great Ocean Road, eine Baumschule in New South Wales (mit Sondergenehmigung hätten wir die Grenze passieren können) und eine Abalonefarm südlich von Geelong. Wir entschieden uns, auch durch die unsichere Lage bei Touristen-abhängigen Jobs und den schlechten Mietbedingungen bei der Baumschule, für die Abalonefarm. Zwar mussten wir uns nun eine eigene Unterkunft in einem touristisch beliebten Gebiet suchen, doch die geregelten Arbeitszeiten von acht bis vier und auch die Lage am Meer lockten uns an. Wir durchforsteten das Internet nun nicht mehr nach Jobs, sondern nach mietbaren Wohnungen und Häusern. Wohnungen und Zimmer waren in der gewünschten Gegend nur sehr begrenzt verfügbar. Da war es schon sinnvoller, sich ein kleines Häuschen anzuschauen. Bei Air B&B wurden wir fündig, jedoch war die Miete viel zu hoch und wir wollten das Angebot schon wieder schließen. Dann kamen wir auf die Idee, der Dame eine Mail zu schreiben und nach ihrem besten Preis für eine längere Miete von bis zu sechs Monaten zu fragen. Sie meldete sich sehr schnell zurück und ging auch merklich mit der Miete nach unten. Bei anderen Häusern hätten wir eventuell etwas Geld sparen können, wären dann aber auch an einen Mietvertrag gebunden gewesen, den wir nun so nicht haben. Das heißt, wir sind sehr flexibel, haben ein Haus nur für uns und sollte irgendetwas mit dem Job sein, können wir jederzeit wieder aus dem Haus ausziehen. Ein blaues Holzhäuschen aus den 60er Jahren nennen wir nun für die nächsten Monate unseres und haben mit einem großen Wohnzimmer, einer tollen Küche, Bad und drei Schlafzimmern mehr als genügend Platz. Dazu haben wir uns gleich noch eine tolle Kaffeemaschine und elektrische Kaffeemühle gekauft, wir haben den schlechten Kaffee der letzten Jahre einfach nicht mehr ausgehalten.
So weit so gut! Auf guten Kaffee, leckere Kartoffeln, aufgeräumte Gärten und genügend Brennholz (bei unserem Winter hier gerade sehr wichtig). Lasst es euch gut gehen und bleibt gesund!
11 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Danke, dass ihr uns in euer Leben solche detaillierten Einblicke gewährt. Ich finde, es klingt trotz der vielen und sicherlich schweren Arbeit danach, als ob man auf der Farm Ruhe und Zufriedenheit hat. Die Bilder sehen idyllisch aus. Krass, wie sich das Leben der Farmboys von dem unserer Kinder unterscheidet. Josia würde bestimmt dort bleiben wollen, wenn er das sehen könnte.
Bis bald, eure Karina
Ja es war teilweise sehr viel Arbeit und ab und zu auch ohne einen freien Tag in der Woche, aber auf dem Land hat man trotzdem nicht diesen Stadtstress! Vor allem die Leute von der Farm, haben diesmal ganz gut gepasst. Josia würde sicherlich staunen wenn die 8 jährigen hier mit dem Crossmotorrad über das Feld gasen und sich ihre 10 Dollar für ein geschossenen Fuchskopf abholen 😉 !
Viele Grüße nach Frankreich und einen spannenden Urlaub
Hallo ihr zwei, mit Neugierde haben wir euren neuen Blog gelesen. Wir freuen uns, das ihr mit der CoronaPandemie nicht in Kontakt gekommen seit. Wie wir lesen konnten, arbeitet ihr sehr viel. Aber wir haben herausgelesen, das euch die Arbeit gefällt und ihr zufrieden seit.
Im Erzgebirge gibt es nichts Neues. Wir sind alle gesund und munter. Zur Zeit genießen wir den Sommer, der sich von seiner sonnigen Seite zeigt. Jetzt wünschen wir euch viel Ruhe und entspannte Stunden in eurem angemieteten Häuschen. Liebe Grüße Gunter und Corina
Hallo, wir freuen uns immer wieder, dass ihr unsere Beiträge so fleißig lest! Wir sehen immer die hohen Temperaturen bei euch in der Tagesschau und würden auch gern mal wieder die Badehosen auspacken, aber der Winter in Australien zieht sich 😉 ! Aber bloß gut gibt es nach einer langen “Winterwanderung” sogar hier Glühwein aus Deutschland 🙂
Liebe Grüße zurück ins Erzgebirge
Was heißt Winter genau? Es ist echt toll, was Ihr so alles ausprobiert! Eine einzigartige Lebensschule!
Naja, Frost am Morgen und manchmal nur sechs Grad und Regen tagsüber. Da mussten wir schon zwei bis drei Unterhosen parat haben.
Ja, wir lernen (fast) jeden Tag dazu und sind sehr dankbar für die Erfahrungen, die wir in den unterschiedlichen Jobs machen dürfen. 😊
Da habt ihr ja ordentlich zur Versorgung der Australier beigetragen. Eine Kiste mit 1000kg Kartoffeln würde ich auch gerne mal in unseren Keller stellen, das würde sicher einige Monate für uns (und alle Nachbarn) reichen! Ihr habt übrigens wieder sehr schöne Bilder gemacht. Es sieht so aus, als hätte sich die Kaffeemaschine schon gelohnt.
Hey, ja die Versorgung der Australier scheint momentan gar nicht so einfach zu sein, weil eben die ganzen Backpacker für die Farmarbeiten fehlen (wir denken dann immer an billige ausländische Spargelstecher in Deutschland). Oh ja, so ne Kiste Kartoffeln würde schon sehr lang reichen, vielleicht brauchen wir einen kleinen Anhänger für die Tilly 😉
Danke, in voller Aktion Bilder zu schießen ist manchmal gar nicht so einfach.
Auf jeden Fall hat sich die Kaffeemaschine schon gelohnt, wir nehmen sie am Tag mindestens zweimal und haben große Freude daran 🙂
Kommt doch mal auf einen Kaffee vorbei 😀
Ihr wisst ja, das Problem ist einzig und allein die Distanz. Ansonsten würden wir (alle Vier) euch sehr sehr gern mal besuchen und zusammen Kaffee trinken.
Meine Liebe Debby, lieber Sven, ich grüße euch aus dem jetzt Kühler werdenden Leipzig.
Uns geht’s trotz der Pandemie gut.
Ich freu mich so, daß es euch gut geht und liebe eure Bilder aus Australien.
Danke, dass ihr das mit uns teilt. Ich freu mich auf den nächsten Beitrag.
Es grüßt euch die Teschi
Liebe Chrissi,
es ist so schön, von Dir zu hören und zu wissen, dass es Euch gut geht!
Wir vermissen nun natürlich den Schnee und die weihnachtlichen Gefühle, freuen uns aber trotzdem, dass bei uns nun langsam Sommer wird 🙂
Lasst es Euch gut gehen und genießt die tolle Weihnachtszeit.
Liebste Grüße nach Leipzig!