

Spannung bis zum Schluss
Sie schossen ihre Abschiedsbilder von den beiden treuen Gefährten und schwangen sich am nächsten Tag das letzte Mal in die Sättel. Vier Stunden brauchte das eingespielte Team für die finale Strecke von Kep nach Phnom Penh, in die Hauptstadt Kambodschas. Dann war das große Ziel erreicht. Das Verkehrschaos wurde, je näher sie der Stadt kamen, immer größer und unübersichtlicher. Diesmal hatten sie zuvor eine Unterkunft für drei Nächte gebucht und konnten das Hotel direkt ansteuern. Wenige Minuten später lagen sie im frisch bezogenen Bett und ruhten sich zunächst von der allerletzten Etappe etwas aus. Sie entdeckten einen deutschen Fernsehsender und unternahmen am Abend eine kleine Erkundungstour in die Umgebung der neuen Wohnstätte. Zum Abendessen landeten sie, eigentlich ungewollt, bei KFC. Ein preislich angemessenes Restaurant hatten sie nicht entdeckt und freuten sich dennoch über die geschmackliche Abwechslung auf der Zunge, auch über die saftig-bissige Konsistenz des Burgers und der frittierten Kartoffelschnitze, die bei gebratenen oder gekochten Nudeln und Reis meist nicht auszumachen ist. Am nächsten Morgen bekamen sie ihr erstes Frühstück auf der Dachterrasse serviert. Der geniale Ausblick ließ sie über das etwas verbruzelte Omelett hinweg schauen. Dennoch waren sie sehr froh über die Unterkunft, die mit zehn Euro Übernachtungspreis ein Frühstück inkludierte, genauso wie einen kleinen Kühlschrank und Wasserkocher im Zimmer und natürlich die Klimaanlage, die sie nach den letzten verschwitzten Tagen sehr nötig hatten. Die ersten drei Nächte vergingen wahnsinnig schnell. Kurzerhand entschieden sie sich für einen verlängerten Aufenthalt im gleichen Hotel für die Zeit bis zur Abreise aus Kambodscha. Im direkten Zentrum der Stadt hatten sie sich zum Vergleich auch umgeschaut und ein paar Gasthäuser angefragt, sich Zimmer und Preise zeigen lassen. Das Richtige war hier nicht dabei gewesen. Jetzt hatten sie einen schönen Ausblick und konnten sogar die Küche im Erdgeschoss nutzen. Nun gab es zwar elf mal das gleiche Frühstück, aber die beiden stehen sowieso auf gebratene Eier und Baguette, also warum nicht?!
Phnom Penh ist mit rund zwei Millionen Einwohnern die größte Stadt Kambodschas und wirtschaftliches Zentrum. Alte und neue Häuser, Märkte, der Mekong und Tonlé Sap – Nebenfluss, französische Kolonialerinnerungen, das Nachtleben, einige Tempel und Pagoden und die traurigen Ereignisse der jüngeren Geschichte geben nebeneinander ein vielseitiges und lebhaftes Bild ab. Direkt am Fluss ist die breite Promenade mit einer Reihe an schönen und preisintensiven Restaurants und Cafés und dem golden schimmernden Königspalast neben einem grünen Platz voller Tauben zu finden. Die horrenden Eintrittspreise des Landes bemerkte das Pärchen auch in der Hauptstadt und wurde so vom Besuch des Palastes abgehalten. Sowieso wurde dieser gerade gebaut und es sollte nicht übermäßig viel zu entdecken geben. Dafür schmuggelten sie sich in den bekanntesten, auf einem kleinen künstlichen Hügel liegenden, Tempel der Stadt, den „Wat Phnom Daun Penh“. Er gilt als historischer Ausgangspunkt für die Entwicklung Phnom Penhs. Niedrige Betonpfeiler verbanden lustlos durchhängende Metallketten als Absperrung miteinander. Den Ticketschalter am anderen Ende übersahen sie geflissentlich und nutzten die Gelegenheit, der nebenstehenden Dame, die zwei Vogelkäfige jonglierte, ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Scheinbar am Kauf eines kleinen Pipsers interessiert, schwangen sie schnell vier Beine über die Kette, schauten etwas herum und gingen dann ganz selbstverständlich zu den hinauf führenden Treppen. Niemand hinderte sie daran.
Während sie den geschmackvoll verzierten Tempel unter die Lupe nahmen, warteten ihre Roller vor einem Supermarkt in der Innenstadt, vorn und hinten mit Schildern beklebt, die das Verkaufsangebot anpriesen. Auch im Internet hatten sie Anzeigen geschaltet, um auf die Zweiräder aufmerksam zu machen. Für den Verkauf hatten Deborah und Sven etwas mehr als eine Woche Zeit. Ob das nun viel oder wenig Zeit war, konnten sie nicht richtig einschätzen. Den Rest des Tages nutzten sie erstmal, um Werbezettel auszudrucken und in angesagten Bars, Restaurants und an Bankautomaten aufzuhängen. Sie konnten nur auf einen ausländischen Käufer hoffen, denn die Einheimischen hielten nichts von der Marke und dem vietnamesischen Kennzeichen. Einige machten ihre Scherze mit den weißen Verkäufern und boten ihnen ganze zehn Dollar pro Bike. Das war also aussichtslos.
Doch sie hatten Glück. Auf die Online-Anzeige meldeten sich am folgenden Tag einige Interessenten. Natürlich waren ein paar Leute dabei, die nur mal so irgendwas fragen wollten und dann nicht mehr antworteten. Sie trafen sich mit einem Pärchen – er Australier, sie Kambodschanerin – und präsentierten ihre besten Stücke. Nach vier Stunden war klar, das wird nichts. Gemeinsam sind sie durch die ganze Stadt gezuckelt, um die Bikes dem Mechaniker des Australiers zu zeigen. Der nickte nach fünf Sekunden ab und meinte, dass sie diese Roller nicht kaufen sollten. Anscheinend sind keine Ersatzteile zu bekommen und das Kennzeichen ist auch nicht praktikabel. Dann mussten Deborah und Sven die Roller wieder mitnehmen. Zwei Tage lang passierte gar nichts. Aber dem nächsten Pärchen, das sich bei ihnen meldete, war es ernst. Das Treffen mit den Südafrikanern arrangierten sie an einer nahegelegenen Tankstelle. Dort hatten die Interessenten gleich die Möglichkeit, die Bikes vom Verkehr ungestört auszuprobieren. Zwei wohl genährte sympathische Personen entstiegen dem Tuktuk und der Mann kreiste nach kurzer Begrüßung und Einführung seine Runden um die Zapfsäulen. Die schienen wirklich interessiert zu sein. Als die Frau dann meinte, dass der Mann jetzt nur noch entschied, welchen Roller von beiden sie kaufen wollten, war die Erleichterung bei den Deutschen groß. Kurzerhand schwang sich die Frau mit auf den Bagaluden. Dann stand die Entscheidung fest. Dieser Roller würde es werden. Das Geld wurde gegen das Ausweispapier getauscht und alle waren glücklich. Die Südafrikaner bekamen noch die Helme dazu, wodurch Deborah und Sven sich nun im Verkehr genau umschauen mussten. An der nächsten Ecke wartete gleich ein Polizist, also stiegen sie schnell ab und schoben die Turbine an ihm vorbei. Grinsend schaute dieser ihnen hinterher. Sie parkten am Supermarkt und gingen erstmal hinein, um sich abzukühlen und über den Verkauf zu freuen. Es wurden Nudeln, Soße und ein Rotwein mit Knabbereien eingepackt. Der erste Erfolg musste schließlich gefeiert werden! Sie verstauten die Köstlichkeiten im Fach unter dem Sitz und liefen in die Schraubergegend, wo sie die billigsten Helme kauften, die sie finden konnten. Zehn Dollar war der normale Preis für zwei Helme, im dritten Laden erstanden sie die gleichen Kopfschalen für sechs Dollar und konnten dann beruhigt mit der Turbine nach Hause fahren. Am Abend köpften sie den Bordeaux und tranken auf Deborah`s Bagaluden. Möge er weiterhin einen guten Dienst leisten.
Es folgten lange Tage mit elendigem Hin und Her, dann Warten und Verzweiflung. In der Stadt trafen sie sich mit einem Käufer und Verkäufer, der ihnen einen lächerlichen Preis anbot und mit seinem Machogehabe nicht gerade einen netten Eindruck hinterließ. Wenige Stunden später schaute sich ein junger Franzose den Roller an. Dann bekam er den Schlüssel in die Hand und musste gestehen, dass dies seine erste Fahrt werden würde. Damit hatten sie überhaupt nicht gerechnet, erklärten ihm alles nochmal kurz und überließen ihn dann seinem Schicksal. Er startete den Motor und zog sofort wie von der Tarantel gestochen am Gas. Das Gefährt startete ruckartig wie ein überdrehter Sprintläufer und zeigte seine ganze Power bis kurz darauf verzweifelt die Bremsen durchgezogen wurden. Einem fliehenden Kaninchen gleich ging die wilde Fahrt im Zickzack ein paar Meter vor und zurück. Nicht einmal eine Minute verbrachte der Franzose auf der Maschine, bevor er zitternd floh. Er hörte sich noch brav ihre Verkaufsargumente an und wollte sich später wieder bei ihnen melden. Er ließ die Verkäufer mit einem Fragezeichen im Gesicht zurück. Natürlich wägten sie in den folgenden Stunde immer wieder ihre Chancen ab. Dann die Absage. Er wollte lieber mit einem kleineren Motor starten und hatte genügend Zeit, um sich in Ruhe nach dem für ihn geeigneten Roller umzuschauen. Ernüchterung machte sich breit. Schriftlich versuchten sie ihn zu überzeugen und boten Fahrstunden und ihre Zeit an. Irgendwann würde er es sicherlich schaffen, den Roller sicher und ruhig zu lenken. Doch da war nichts mehr zu machen. Der Franzose hatte anscheinend einen Schock für`s Leben davongetragen.
Die Tage vergingen und niemand meldete sich bei ihnen. Sie erneuerten die Anzeigen im Internet und nutzen die Zeit, um Pläne zu schmieden, sich über die Weiterreise zu informieren, Flüge zu buchen und das Museum „S21“ zu besuchen. (Das Museum zeigt die Gräuel der Roten Khmer unter Pol Pot, die in den 1970er Jahren in dem von einer Schule zu einem Gefängnis umfunktionierten Gebäude die verstörende Ideologie, vor allem durch massenhafte Folter unschuldiger Menschen, zum Ausdruck brachte.) Doch sie konnten sich nicht richtig konzentrieren und erledigten alles wie in Trance. Der Roller schob sich immer wieder in ihre Gedanken. Drei Tage vor dem Abflug quatschten sie stundenlang mit dem südafrikanischen Pärchen, das im gleichen Hotel wohnte und erst seit zwei Wochen von ihrer Heimat in das neue Land, nach Kambodscha, ausgewandert war. Leider hatten sie persönlich kein Interesse, wollten noch abwarten und sich zunächst ein bisschen einleben. Aber auf der neuen Arbeit wollten sie gern nachfragen, ob jemand einen Roller brauchte. Deborah und Sven gingen ihre vergangenen Kontakte noch einmal durch. Zwei Tage vor Abflug mussten sie ihren Mut zusammennehmen, ihren Stolz vergessen und den unsympathischen Macho erneut anschreiben. Er hatte zwar immer noch Interesse, befand sich aber nicht mehr in der Stadt. Jetzt wussten sie nicht mehr weiter. Sie überlegten, was zu tun sei, wenn niemand auch nur fünfzig Dollar für den Roller geben würde. Auch den neuen Besitzern des Bagaluden schrieben sie eine Nachricht und hofften auf ein Wunder. Tatsächlich bekamen sie eine positive Antwort. Nach langem Schreiben wurde der Roller einen Tag vor Abflug gewaschen, was schon für das liebevolle Spektakel, das die Einheimischen daraus machten, das Geld wert war. Am Abend kurvten Deborah und Sven durch die Stadt, um das Paar zu treffen. Die Frau vermittelte sie an einen Kollegen, der die Anzeige im Internet gesehen hatte und sie zufällig gefragt hatte, ob sie die Marke kannte. Dann bedurfte es nicht mehr viel. Die Frau zählte schon Tage zuvor dem Neuseeländer die Vorteile auf und überzeugte ihn von der guten Qualität des Rollers. Beschwingt kam besagter Mann mit seinem Drahtesel um die Ecke gestrahlt und machte sofort einen guten Eindruck auf die Deutschen. Er fuhr eine Proberunde und holte das Geld von der Bank ab. Es war sechs Uhr am Abend, als sie die Turbine endlich verkauft hatten. In zwölf Stunden mussten sie aus dem Bett, um zum Flughafen zu fahren. Was für ein Happy End! Einen Anteil des geforderten Geldes gaben sie den Südafrikanern für die Vermittlung und hatten im Endeffekt mit beiden Rollern genau den damaligen Einkaufspreis wieder rein. Es war eine super Entscheidung, die Tour mit den Rollern zu machen! Drei Monate mit prall gefüllten Abenteuern und doch sehr verlässlichen Fahrzeugen lagen hinter ihnen. Jetzt hatten sie tolle neue Besitzer für ihre treuen Bikes gefunden und konnten sich beim Spaziergang nach Hause angemessen von den Straßen Kambodschas verabschieden.
Nach der kurzen Nacht nahmen sie zeitig das letzte Frühstück auf der Dachterrasse zu sich und riefen über eine App ein Tuktuk, um zum Flughafen zu fahren. Der ungefähre Preis wurde ihnen angezeigt. Auch der Fahrer bekam über sein Smartphone den Zielort angezeigt. Als sie das ganze Gepäck auf engem Raum verstaut hatten, wusste der Mann plötzlich nicht, wohin sie wollten und verstand „Airport“ und die Geste eines startenden Flugzeuges auch nicht. Da musste die Rezeptionistin kurz helfen. Wahrscheinlich stellte er sich nur dumm, um einen Umweg fahren zu können. Der Gedanke kam Deborah und Sven erst, als sie am Gate auf das Flugzeug warteten. Denn der Fahrer wollte am Flughafen plötzlich anstatt der drei Dollar sieben Dollar haben. Viel zu viel! Das Pärchen blieb hart und bot ihm mehrmals die drei Dollar an. Weil sie keine Internetverbindung hatten, konnten sie nicht in der App nachschauen, was der richtige Preis war. Der Fahrer machte großes Theater, nahm in der letzten Sekunde das Geld entgegen und trollte sich schlecht gelaunt. Hatten sie tatsächlich zu wenig gezahlt? Das wussten sie nicht genau. Am Gate konnten sie sich in das WLAN des Flughafens einloggen. Die App zeigte zwei Dollar an! Was für eine Frechheit. Der Mann hatte sicherlich mit Absicht sein Internet abgestellt und darauf gehofft, dass die Touristen auch keins hatten. Er wollte sie gehörig über`s Ohr hauen. Gut, dass sie ihm „nur“ drei Dollar gegeben hatten und sich von seinem ruppigen Gehabe nicht beeindrucken ließen.
Mit einem Zwischenstop in Kuala Lumpur kamen sie nach insgesamt vier Stunden Flug, zwei Stunden warten und mit hervorragendem Flugzeugessen gefüllten Mägen in Jakarta an. Nun mussten sie die Unterkünfte, diesmal Unterkunft Nummer 80 ihrer Reise, wieder im Voraus buchen. Den Nachteil davon würden sie sofort wieder zu spüren bekommen. Ein Bus brachte sie nach langem Chaos und Warten in die Innenstadt und ein günstiges Taxi bis zur Unterkunft. Drinnen roch es überall anders. Mal nach Rauch, dann nach Raumspray oder abgestandener Luft. Das Zimmer wurde mit Aussicht im Internet angepriesen, doch der Raum, den sie nun betraten, hatte ein Fenster, das direkt auf eine Wand zeigte. Tageslicht war so gut wie nicht vorhanden. Am selben Abend fragten sie nach einem anderen Zimmer und bekamen schließlich eines mit Fenstern gezeigt. Das war natürlich preisintensiver. Da es sowieso schon dunkel war, verbrachten sie die erste Nacht in der Dunkelkammer ohne Licht und zogen am nächsten Tag um. Der Preisunterschied war gerade so zu verkraften. Nun fühlen sie sich viel wohler und können mit Blick auf die Straße weitere drei Nächte in Jakarta verweilen. Wohin die Reise danach gehen wird, steht noch nicht fest. Das entscheidet das Pärchen dann in den nächsten Tagen.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Herzlichen Glückwunsch, liebe Deby, zu Deinem Geburtstag. Mit Psalm 28,7 gratuliere ich Dir und wünsche Dir Gottes Segen, eine stabile Gesundheit und viel Entdeckerfreude.
Mit lieben Grüßen, auch an Sven, Deine Oma Irmgard
Liebe Oma, vielen Dank für deinen Kommentar, hat mich sehr gefreut!! 😊