

Die verflixte 27
Sie wollten nach Laos. Das war abgemachte Sache. Sie verabschiedeten sich vom schönen Mai Chau und machten sich auf den Weg nach Son La. Nach 180 Kilometern hatten sie ihr Ziel erreicht. Eine unscheinbare Stadt Richtung Nordwesten, in Richtung der Grenze zu Laos. Doch diese Tagesetappe war nicht irgendeine Etappe und auch der folgende Tag sollte nicht so schnell vergessen werden. Es war kalt, richtig kalt und der beißende Fahrtwind trug das seine zur Situation bei. Beim ersten Nebel in den Bergen waren sie noch überrascht. Alle warmen Klamotten die sie hatten, zogen sie an. Mit drei Unterhosen, drei Paar Socken, sechs Schichten am Oberkörper, zwei paar Handschuhen, Schals und Mützen klemmten sich die beiden auf ihren Sitzen fest und harrten der Dinge. Besser gesagt der Straße bzw. den Aufs und Abs der Berge. Runter fahren bedeutete Entspannung, hoch fahren dagegen Kälte, Frieren, Anspannung. Als dann noch der Regen dazukam, war die persönliche Grenze tatsächlich erreicht. So hatten sie sich das nicht vorgestellt. Den Tränen nahe hielten sie ab und zu an, um wenigstens ein bisschen aufzutauen. Sie bissen sich durch bis zum Zielort und wurden von mehreren trostlosen Hotelzimmern traurig angeschaut. Bei dieser Auswahl war die Entscheidung schwer und doch ganz einfach. Deborah und Sven entschieden sich für die Unterkunft, die wenigstens weisse Bettwäsche bieten konnte. Eine Heizung gab es nicht. Immer noch komplett durchgefroren schleppten sie sich durch die kalten Straßen und suchten etwas warmes zu Essen. Nirgendwo konnte man sich in einen geheizten Raum setzen. Überall nur offene Fassaden, nichtmal mit einem Tuch zu gehangen. Schnell füllten sie die Mägen auf den frostigen Stühlen mit angebratenem Reis und versteckten sich für den Rest des Abends unter der Bettdecke. Am nächsten Morgen mussten sie das warm gewordene Bett verlassen, in die ausgekühlten Sachen schlüpfen und hatten einen weiteren nasskalten Tag vor sich.
Das war in der Tat grenzwertig, vielleicht sogar eine persönliche Grenzüberschreitung. Zu kalt, zu nass, zu anstrengend.
In Dien Bien, einem Ort mit historischer Berühmtheit, fanden sie sich am nächsten Abend wieder. Am 8. Mai 1954 musste sich hier die Besatzungsmacht Frankreich der vietnamesischen Unabhängigkeitsbewegung Viet Minh geschlagen geben und verlor damit gleichzeitig das französische Kolonialreich in Indochina. Deborah und Sven schauten sich das Museum an, das vom allgegenwärtig präsentierten Nationalstolz zu platzen schien. Die Heldentaten der vietnamesischen Soldaten wurden in vielen Bildern gezeigt und die tapferen Männer stets als „unsere“ Soldaten betitelt. Französische Errungenschaften waren nicht so wichtig. Ein paar Vietnamesen huschten ebenfalls durch die Museumsräume, schauten sich aber nichts Genaues an, sondern waren auf der Suche nach den spektakulärsten Bildern und Kulissen für ein gelungenes Selfie. Im nächsten Moment waren sie auch schon wieder weg. Auch den Friedhof der gefallenen Soldaten konnten sich die ausländischen Besucher noch anschauen.
Im Ort suchten Deborah und Sven anschließend die französischen Überbleibsel auf. Die musste man wirklich suchen. Es gab keine Schilder und keine Beschreibungen. Vor einem Panzer, der unter einem maroden Glasdach sein Leben fristete, stand ein LKW, der die Sicht versperrte. Zufällig fanden sie das Anschauungsstück im Vorbeigehen. Die beiden bummelten noch ein bisschen durch die Stadt, tranken einen Kaffee und nahmen das vietnamesische Denkmal des Sieges in Augenschein. Wegen der Kälte der letzten Fahrten besorgen sich die Biker noch zwei Vollhelme, die mit richtigem Visier und komplettem Schutz eine deutlichere Verbesserung darstellten.
Dann war Freitag, der Tag an dem sie nach Laos fahren wollten. Grenzüberschreitung stand auf dem Programm. Im Vorfeld hatten sie sich schon über das Visum informiert, die Passbilder und Dollar zurechtgelegt. Für die reichlich 30 Kilometer bis zur Grenze setzten sie eine Stunde Fahrt an, was schon großzügig berechnet war. 90 Minuten später fluchten sie an dem total verlassenen Gebäude der Grenze über die zurückgelegte Strecke. Der Asphalt war eine Krankheit, was den empfindlichen Rollern nicht gerade zuträglich war. In den Kurven fehlte ab und zu jegliche Befestigung und sie fuhren durch losen Sand. Wer schonmal mit einem Fahrrad durch tiefen Sand gefahren ist, kennt das Gefühl. Ständig rutschten die Reifen weg. An der Bergspitze angekommen, stellten sie die Roller ab und suchten in dem leergefegten Gebäude nach irgendjemandem. Erst sah es so aus, als wäre wirklich niemand da. Dann hörten sie eine Stimme, ein Mann der telefonierte. Sven schaute um die Ecke und sah den Grenzer unter einer Decke gekuschelt Mittagspause machen. Sie mussten sich eine Stunde gedulden. Die Zeit wurde für eine Nudelsuppe genutzt, die im Häuschen nebenan offeriert wurde.
Es war soweit, Deborah und Sven legten dem ausgeruhten Mann die Reisepässe und die Karten der Roller vor. Er schaute sich die Kärtchen kurz an und meinte knapp „you can not go“. Äh, ok, warum, wieso, weshalb? Er sagte ihnen, dass die Roller einen falschen Zulassungsort hätten. Es dürfen nur Fahrzeuge nach Laos, die in dem Distrikt 27, also Dien Bien, zugelassen sind. Auf ihren Karten war aber eine 29 und eine 36 vermerkt. Sie fragten alles mögliche, vor allem nach dem Hintergrund, dem Warum des haarsträubenden Gesetzes, brachten aber keine sinnvolle Antwort aus dem Grenzer heraus. Damit hatten sie nicht gerechnet. Verblüfft ließen sie sich auf den dreckigen Stühlen nieder und kauten frustriert eine Packung Chips leer. Wie sollte es jetzt weiter gehen? Konnten sie mit den Rollern überhaupt nach und durch Laos fahren? Erstmal tuckerten sie den staubigen Weg in die Stadt zurück, wobei sich Deborah im tiefen Sand auch noch hinlegte. Zwei Vietnamesen hielten zwar an, stellten sich aber erstmal mit Händen in den Taschen neben den Roller. Dann halfen sie langsam, das Zweirad aufzuheben. In der Zwischenzeit hatte der Tank schon wieder Benzin verloren. Am Roller war noch alles ganz und zurück im gleichen Hotel suchten sie im Internet nach möglichen Grenzübergängen, Erfahrungsberichten und Hinweisen. Angeblich funktioniert die Grenzüberschreitung etwas südlicher mit Motorroller sehr gut. Das bedeutet aber, dass sie die ganze Strecke bis Mai Chau zurück müssen. Zwei Tagesetappen. Sie hatten keine Wahl und machten sich auf das Schlimmste gefasst. Gerade die Strecke, die so kalt und grenzwertig war, mussten sie erneut passieren.
Heute, nach zwei anstrengenden Fahrtagen, sind sie wieder im schönen Hotelzimmer in Mai Chau. 730 Kilometer für die Katz. Ein Roller hat mit einer Beule im Hinterrad zu kämpfen, außerdem ist erneut eine Halterung für den Auspuff gebrochen. Das müssen sie wahrscheinlich noch reparieren lassen. Morgen ist zunächst Ruhetag angesagt, bevor die Weiterreise nach Na Meo beginnt, wo sie hoffentlich ohne Probleme hinüber nach Laos kommen.
Der Weg ist das Ziel, mal leichter, mal beschwerlicher. Unsere positive Einstellung haben wir noch lange nicht verloren!
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Danke für eure witzige Projektidee Taxifahrer. So unterschiedlich ist die Ausübung des Berufes auf der Welt 😉
Ja manchmal ist das Leben ein Kampf aber wer nicht kämpft hat schon verloren.
Somit viel Kraft und viel Glück für eueren zweiten Anlauf nach Laos.
LG Mutti
Gut, dass ihr euch nicht unterkriegen lasst! Am Ende werden das die Stories sein, die ihr noch jahrelang zum Besten geben werdet. 😉