

Über 7000 australische Kilometer verbinden nun schon das Team Tilly. Ein aufregender Monat liegt hinter ihnen. Neben ewig langen tagfüllenden Asphaltstraßen und kleinen Ortschaften gehörten auch harte lange Wege mit Flussüberquerungen, tiefen Löchern, Sand und spitzen Steinen zum Programm. Auch die gefürchteten sogenannten „corrugations“, also dicht aneinandergereihte harte Sandwellen, bestimmten so manche Fahrstunde, versetzten jedes Gramm Körpergewicht in permanente Schwingungen und nahmen ihnen die Karre auseinander. Die Fahrgeschwindigkeit passte sich an die Straßenbedingungen an. Die Natur und die Tierwelt waren die Anstrengungen wert und ab und zu konnten sie auf diese Art einen abgelegenen Schlafplatz erreichen.
Deborah und Sven arbeiteten sich nach und nach gen Norden vor. Über Carnavon und Coralbay, wo sie zwischen Dünen wunderschön, obwohl auch illegal, übernachten konnten und die Campingplätze der Stadt hingegen gerammelt voll mit Touristen waren, erreichten sie Exmouth und den angrenzenden Cape Range Nationalpark. Ihr Jahrespass für alle Nationalparks in Westaustralien machte sich wieder einmal bezahlt. Nur übernachten konnten sie im Park nicht, weil dies schon Wochen vorher hätte gebucht werden müssen und extra Gebühren dafür anfielen. Also versuchten sie, so viel wie möglich an einem Tag zu schaffen und außerhalb des Parks, trotz erneutem Verbot, eine kurze Nacht zu verbringen. Am Abend kamen sie spät zu ihrem ausgesuchten Fleckchen und verließen es am Morgen noch im Dunkeln. Die Angst vor einer deftigen Strafe von einem Ranger war zu groß. Dann machten sie sich auf zu einer Wanderung im Sonnenaufgang durch ein ausgetrocknetes Flussbett und felsige Berge. Nach der schweißtreibenden Betätigung steuerten sie die zahlreichen schönen Strände an und probierten ihre Schnorchel und Taucherbrillen aus. Ein Set hatten sie gekauft, das andere an einem verlassenen Strand gefunden. Die ersten Atemzüge unter Wasser durch den Plastikschlauch waren ganz schön ungewohnt und kurz. Nach ein paar Minuten gewöhnten sie sich an das komische Gefühl und ließen sich mit dem Strom treiben. Die Unterwasserwelt präsentierte sich artenreich und farbenfroh mit zahlreichen Fischen verschiedenster Musterung und bunten Korallen. Selbst eine rote Krake schob sich in ihr Blickfeld und harrte unter einem Stein aus. Wie beim Wintersport liefen sie den Strand entlang bis zum Einstieg, das war der Skilift, und genossen den Strom im Wasser, die Abfahrt mit Aussicht. In der Region um Exmouth sahen die beiden endlich die erhofften Wale und Delfine. Von einem Aussichtspunkt mit Leuchtturm aus erspähten sie zunächst nur beeindruckende Wasserspritzer und Fontänen. Mit dem Teleobjektiv zoomten sie näher heran und hatten mehrere Delfine und Walflossen vor der Linse. Unablässig schlugen die großen Wale mit ihren mächtigen Flossen auf die Wasseroberfläche ein. Bis zum Sonnenuntergang konnten Deborah und Sven immer wieder ein paar Wale sehen. Beim abendlichen Strandspaziergang stolperten sie über eine monströs große Meeresschildkröte, die aussah, als wäre sie tot. Vorsichtig pirschten sich die Deutschen näher heran und bemitleideten schon das schwerfällige Tier. Dann bewegte sich auf einmal der schlangenartige Kopf in ihre Richtung. Unendlich langsam schob sich der grüne Panzer Richtung Meer und erreichte irgendwann das kühle Wasser. Zwei weitere Artgenossen begrüßten die alte Dame in ihren Gefilden und schwammen mit ihr davon. Was für eine Begegnung!
Die nächsten Orte waren Karratha, Port Samson, Port Hedland und schließlich Broome. Vor Karratha fanden sie einen wunderschönen gebührenfreien Zeltplatz, der mit einer Toilette ausgestattet war und an einem kleinen See lag. Gleich zwei Nächte verbrachten die Reisenden dort und erlösten sich von den warmen Temperaturen mit einem Sprung ins kühle Nass. Sven bekam die Haare geschnitten und brachte die LED-Bar an, während Deborah Kuchen backte. In Port Samson badeten sie in dem klarsten Wasser, was sie bisher gesehen hatten und fuhren mit kurzem Stop über den „Eighty Mile Beach“ nach Broome. Bei den verschiedenen Übernachtungsplätzen kamen sie schnell mit einigen Australiern ins Gespräch und tauschten sich über interessante Orte und kleine Tricks aus. Zwei ältere Herren machten ihre liebevollen Witze über den jeweils anderen, da einer von ihnen aus Neuseeland kam und das ein fortwährendes Thema zwischen ihnen war. Der eine war „vor 100 Jahren, als ihr noch nicht gelebt habt“ mal in Deutschland und erzählte ihnen davon. Der andere empfahl ihnen seinen Lieblingsplatz bei Broome und gab den beiden damit einen guten Tipp. An einem anderen Abend trafen sie eine Familie mit drei Söhnen am Lagerfeuer, bekamen ein paar Marshmallows gebraten und wurden von dem aufgeregten Geplapper der drei Jungs über die coolsten Orte Australiens informiert. Mit leuchtenden Augen berichteten sie von ihren Abenteuern und zeigten Bilder von gefährlichen Tieren und vom Haie fangen.
In Broome versuchten sie, das notwendige Auffüllen der Reserven mit schönen Momenten, zum Beispiel dem Sonnenuntergang am Cable Beach, zu verbinden. Zwei Kamelkaravanen mit aufgeregten Touristen kreuzten die Kulisse. Tilly stand direkt am Strand, sie kochten sich ihr Abendessen und genossen die Lammrumpsteaks in atemberaubender Umgebung.
Eine komplette Woche verbrachten die beiden anschließend im Norden von Broome und nutzten die zahlreichen gebührenfreien Plätze. Einen Stellplatz für die Nacht zu finden war nämlich gar nicht immer so einfach. Vor allem in den Städten und Touristengebieten war es immer schwer, den Rangern und spießigen Leuten zu entkommen. Umso mehr konnten sie mal die Seele an den meist verlassenen Plätzen baumeln lassen und auch ab und zu zwei Nächte am Stück an einem Ort bleiben. Jeder Ort hatte seine eigene Magie, doch alle verband das blaue Meer, das je nach Tageszeit von der Ebbe oder Flut gezeichnet war. Über unwirkliche Mondlandschaft und Plätze mit Aussicht bis zu Klippen und rotem Sand war alles dabei. Zum ausgiebigen Schwimmen waren zu viele gefährliche Tiere unterwegs doch ein kurzer Sprung ins Wasser war kein Problem. Die Highlights waren die Strandspaziergänge, die Sonnenuntergänge, das Lagerfeuer am Abend und zwei nackte Hippienachbarn. Luke und Jodie, die sie aus Perth kannten und gerade um Broome Urlaub machten, trafen sie zweimal zwischendurch.
Ihre Route führte weiter nach Derby und damit in immer tropischere Regionen mit wachsender Anzahl an lebensbedrohlichen Tieren. Vor allem die Krokodile konnten nun in jedem Gewässer auf sie lauern. Am Fitzroy River suchten die beiden nach den drachenähnlichen Umrissen, entdeckten aber im Tageslicht nichts. Die Hitze machte die Deutschen jetzt fertig. Eigentlich wollten sie einen kleinen Mittagsschlaf machen, ließen es dann aber lieber bleiben, weil sie Angst hatten, vor Schwäche nicht mehr aufzuwachen. Der Schweiß lief einfach an ihnen hinab, vierundzwanzig Stunden am Tag. Und dann waren da noch die Fliegen! Nicht so artige, die sich mit einer kleinen Bewegung vertreiben lassen, sondern hartnäckige Genossen die es auf die Augen, die Nase und die Ohren abgesehen hatten und jede unbewachte Situation schamlos und in Scharen ausnutzten. Mit der kommenden Dunkelheit tauschten die Fliegen mit den Mücken den Platz. Deborah und Sven übernachteten am Fluss in sicherer Höhe und lauschten auf jedes Geräusch. Außer den beiden wahnsinnigen australischen Anglern, die bis in die Nacht hinein ihr Glück versuchten, war nicht viel zu hören und zu sehen.
Das änderte sich in der folgenden Nacht, als sie bereits auf der bekannten “Gibb River Road”, einer nicht asphaltierten Outbackstraße, eine Nacht zwischen zwei Seen auf einem mächtigen Felsen verbrachten. Bei Tageslicht sahen sie nur Kängurus, in der Nacht aber auch leuchtende Krokodilaugen, die sich im Wasser bewegten. Am nächsten Morgen schauten sie erneut nach den Tierchen und schreckten eines am Ufer hoch. Es huschte geräuschvoll davon.
Auf der “Gibb” trafen sie zwei deutsche Urlauber, die in sechs Wochen mit einem Mietwagen von Adelaide über Alice Springs und den Norden bis nach Perth reisten. Im “Bell Gorge”, einem Wasserfall mit angrenzender Schlucht und Wasserbecken, konnten sie endlich wieder schwimmen gehen. Dafür mussten sie einen Abzweig passieren, der vom Waldbrand bedroht wurde. Auf der linken Seite züngelten hohe Flammen an allem Brennbaren, der Rauch zog über die Straße und nahm die Sicht. Langsam fuhren sie möglichst weit rechts an den Flammen vorbei, ohne entgegenkommenden Verkehr sehen zu können. Nach ein paar Metern war die Gefahr vorbei.
Zu viert besuchten sie am nächsten Tag “Windjana Gorge”, ein Wasserbecken voller Süßwasserkrokodile und “Tunnel Creek”, eine finstere lang gezogene Höhle. Zum Glück waren sie zu viert, denn schon am Eingang begrüßte sie ein Krokodil mit offenem Maul. Sie trauten ihren Augen kaum. Gerade kamen mehrere Australier mit Bierdosen aus der Höhle heraus und warnten sie vor, doch dass dies kein Scherz war, konnten sie kaum glauben. Vorsichtig schmuggelten sie sich an dem Ungetüm vorbei und erreichten bald den sicher entfernten Pfad. Gegenseitig trieben sie sich dazu an, sich noch ein paar Meter weiter zu wagen und kamen so bis zur Hälfte der Höhle. Dann hatten sie genug, da der trockene Weg nun endete und sie keinesfalls mit weiteren Krokodilen, die sie aus dem Wasser schon beobachteten, zusammentreffen wollten. Sie machten sich auf den Rückweg und waren froh, dass das Krokodil am Eingang noch am gleichen Ort hockte. So wussten sie wenigstens wo es war.
Deborah und Sven beendeten die “Gibb” und wurden bei Fitzroy Crossing von einem Gewitter überrascht. Der erste kurze Regen seit Langem. Die Blitze durchzogen den Himmel im Sekundentakt. Deborah lag schon im Bett als sie gemeinsam überlegten, ob ihnen in der Tilly eigentlich etwas passieren könnte. Die Wolken zogen nicht weg, das Gewitter war ziemlich heftig und hartnäckig. Sven googelte schnell und fand heraus, dass schon ein paar Metallstangen fehlten, um geschützt zu sein. Schnell war Deborah wieder unten. Die beiden verkrochen sich ins Fahrerhaus und warteten dort ab. Nach einer halben Stunde saßen sie da immer noch. Ein paar Kilometer weiter war gleich noch ein Schlafplatz, den sie dann ansteuerten. Hier war es ein bisschen besser und nach einer weiteren Stunde konnten sie endlich ins Bett gehen.
Beim Frühstück am nächsten Morgen kamen sie mit Janine und Micha aus Deutschland ins Gespräch. Die beiden hatten gerade ihre Weltreise begonnen. Nicht viel später kurvten sie zu viert zum Purnululu Nationalpark, um die gestreiften runden Berge, die “Bungle Bungles”, zu sehen. Den Wanderweg zu einer enormen Felsspalte bewältigten sie noch am gleichen Tag und suchten am späten Nachmittag nach einer Übernachtung. Da sie sich im Nationalpark befanden, mussten sie eigentlich einen öffentlichen Zeltplatz aufsuchen und Gebühren bezahlen. Das wollten sie natürlich nicht und schauten in ihren Karten verzweifelt nach versteckten Wegen. Das Einzige was sich anbot, war ein ausgetrocknetes Flussbett. Dort fuhren sie ein paar hundert Meter hinein bis sie vom Hauptweg nicht mehr zu sehen waren und quatschten bis sie ins Bett fielen.
In der Mittagshitze des nächsten Tages wanderten sie zur sogenannten “Cathedral Gorge” und durch ein weiteres Flussbett zu einem Aussichtspunkt. Rückzu duschten sie sich mit dem Wasserschlauch des Besucherzentrums ab und übernachteten nochmal am Highway mit Lagerfeuer und Knüppelteig.
Zu zweit ging es weiter zum Argyle-See, nach Kununurra und Katherine. Ein eigenwilliger Mechaniker schaute sich kurz die Tilly an, da es ein Problem bei dem Ladesystem der beiden Batterien gab. Das verbindende Element war kaputt. Deborah und Sven konnten ein neues Teil in der Stadt besorgen und Sven tauschte es aus.
Bevor sie Darwin erreichten, verbrachten die beiden zwei Tage im Litchfield Nationalpark, der schon zum neuen Bundesstaat Nordaustralien gehört. Viele Wasserfälle, kleine Wanderwege, Geländestraßen und Planschbecken beschäftigten sie gut. Die Krokodilgefahr war hier minimal, doch oft fühlten sie sich wohler, wenn noch andere Badegäste da waren. Weil sie keine andere Möglichkeit hatten, stellten sie sich am Abend das erste Mal auf einen gebührenpflichtigen Zeltplatz. Die Bezahlung funktionierte über Briefumschläge, die mit dem Geld gefüllt in einer Box verschwanden. Die Toiletten und Duschen waren miserabel. Zunächst bezahlten die beiden nichts, wollten es eventuell am Morgen nachholen. Doch nachdem sie die sanitären Anlagen gesehen hatten, beschlossen sie, sehr zeitig aufzustehen und sich dann aus dem Staub zu machen. Der Plan funktionierte auf Umwegen. Wahrscheinlich ist Tilly durch das neue Bauteil irgendwie durcheinander gekommen und sprang nicht an. Die laute Motorhaube weckte sicherlich rundum ein paar Backpacker. Zufällig standen sie etwas hangabwärts. Nach zwei Zündungsversuchen zogen Deborah und Sven die letzte Karte und schoben kräftig an. Sven sprang in letzter Sekunde ins Auto, krachte die Tür zu, entriegelte die umständliche elektronische Wegfahrsperre, drehte den Schlüssel um, legte den zweiten Gang ein und ließ die Kupplung kommen. Und das alles auf 15 Metern Fahrt. Kurz vor dem nächsten Backpackerzelt kam das erlösende Geräusch, der Motor lief. Lauter Jubel im Morgengrauen. Heimlich zogen sie von dannen.
Ein paar Wasserfälle später waren sie auf dem Weg nach Darwin an der Nordküste. Die moderne Stadt gefiel ihnen gut. Vor allem das kostenfreie Nordaustralische Museum hat es ihnen angetan. In klimatisierten Räumen gab es Ausstellungen zur Aboriginekunst, heimischen Tierwelt, dem Wirbelsturm Tracy von 1974, Segelbooten und Geschichten aus früheren Zeiten zu sehen.
Am Abend machten sie ihr Abendessen an der Stadtpromenade und schlenderten durch die Straßen. An einem See waren sie in der ersten Nacht ungestört, wurden aber am zweiten Morgen von einem überheblichen Ranger geweckt, der ihre Pässe verlangte. Gnädigerweise wollte er kein Strafgeld, sondern sprach nur eine Verwarnung aus. Auf die Frage, warum es denn verboten sei, hier zu übernachten, meinte er nur, dass die Hostels sonst nicht überleben könnten. Als würde das Wohl der Stadt von den Hostels abhängen, lächerlich.
So schlagen wir uns durch die Tage und vor allem durch die Nächte und können vor Hitze kaum schlafen. Morgen geht’s weiter zum Kakadu-Nationalpark, bevor das echte Outback erkundet wird. Liebe Grüße in die Heimat!
3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Hallo,
danke für euren langen Bericht (ist ja fast ein Roman) und die vielen Bilder. Da seid ihr ja schon gut vorangekommen und habt auch einiges gesehen, z.B. endlich Delfine und Wale! So wie es klingt, sind in dieser Gegend ja fast nur Touristen unterwegs, oder? Könnt ihr euch den Tagesablauf eigentlich 100%ig frei einteilen, wo ihr euer eigenes Hotel und Essen dabei habt oder müsst ihr euch trotzdem öfter an bestimmte Gegebenheiten halten?
Viele Grüße von uns vieren, Samuel
Ja haben viel gesehen und auch viele Touris. Mit dem Tagesablauf ist das immer so ne Sache, klar sind wir sehr frei, aber trotzdem von vielen Sachen abhängig und müssen auch viel im Voraus Planen bzw. Überlegen. Der Schlafplatz entscheidet vieles (wollen ja nicht bezahlen dafür und müssen manchmal ganzschön aufpassen, um keine Strafe- bis zu 2000 Dollar -zu bekommen) , dann auch Auffüllmöglichkeiten für Essen, Wasser, Tank und natürlich das Wetter, vor allem die Hitze. Wenn wir uns die anderen Touris und auch so manche Backpacker anschauen, sind wir im Vergleich trotzdem noch viel freier. Haben heute Nacht z.b. wieder einen mega schönen Platz mit Blick auf den Uluru und die Olgas (weitere Berge), den viele Touris im Hotel oder auf dem Campingplatz teuer bezahlen und der dann bei Weitem nicht mal so toll ist! Eben weil wir so unabhängig sind.
(Viele Backpacker haben keinen Kühlschrank, da wirds natürlich irgendwann eng.)
Liebste Grüße zurück!
Sehr spannend und schön, was da von Euch zu lesen ist und herrliche Bilder! Danke! Alles Gute und liebe Grüße Eure Mutsch