

In den Touristenorten Ooty und Goa wie im Urlaub.
Sie wachten auf und froren. Das Thermometer kratzte knapp an der 14 Grad-Marke. Ein sonderbares Gefühl nach den ganzen heissen Tagen, die hinter ihnen lagen. Schon wurde es schwieriger, aus dem kuscheligen Bett zu kriechen. Aber es lag ein toller Tag in Ooty vor ihnen. Sie wollten den Dodabetta, den höchsten Berg der Nilgiris mit 2637 Metern, besteigen. Also krochen Deborah und Sven verschlafen aus den Federn und gingen zum Frühstück. Es gab Puri, Marmelade und so etwas wie einen Nudelsalat. Dazu verschiedene Soßen und einen Tee für jeden. Nach diesen ziemlich fettigen, aber schmackhaften Fladenbroten waren sie gestärkt für die anstehende Tour. Die Wanderschuhe ausgepackt und los. Der Weg führte auf Schotter- und Asphaltstraßen an einem kleinen Dorf vorbei bis zu einem Wald, in dem sie über Stock und Stein nach drei Stunden den Gipfel erreichten. Die Inder machten große Augen, als sie unter dem Absperrzaun hindurch schlüpften, um den touristischen Ausblick zu genießen. Einheimische würden niemals auf die Idee kommen, den Berg zu Fuss zu erklimmen. Wer auch die kleinsten Strecken fährt und seine übermäßigen Kilos zur Schau stellen kann, gilt als angesehen und wohlhabend. Sport ist Mord und dazu noch völlig überflüssig. Durch ihre Aktivität hatten sich die Deutschen wenigstens das Eintrittsgeld gespart, das bei den meisten Attraktionen für Ausländer um ein Vielfaches höher liegt. Diskriminierung? Nein, Geschäft!
Zum Glück zogen die Wolken langsam, sodass der Ausblick auf Ooty und die vielen Berge nicht versperrt war. Sie genossen den Weitblick, sahen den indischen Touristen beim Selfie-Schiessen zu und gönnten sich einen Tee, ein paar Möhren und pikante Erdnüsse. Dann traten sie den Rückzug an, durchschritten abermals den Wald und die Straßen, kamen an Kühen und Möhrenpflückern vorbei und aßen zum Abend ganz typisch Reis mit Curry.
Richtig, die Anreise nach Ooty ist geglückt. Das Daumen drücken hat sich wohl gelohnt, denn es gab plötzlich eine Lösung für das nicht vorhandene Ticket. Wer hätte es geahnt, sie hätten sich einfach auf die meterlange Warteliste setzen lassen sollen! Natürlich schwieg der Mann am Schalter darüber und wies die Touristen nicht darauf hin, dass sie mit der Warteliste dennoch sehr gute Chancen für den eigentlich ausgebuchten Zug hatten. Dies ist nämlich eine weitere Eigenart der indischen Bevölkerung, ja nicht zu viel verraten, lieber ein bisschen schmoren lassen und über jede Kleinigkeit bis auf`s Blut diskutieren. Nicht nur bei Tickets, sondern vor allem auch bei Preisen verschiedener Artikel oder Dienstleistungen wird man gern über`s Ohr gehauen. Das Unangenehme daran ist die Ernsthaftigkeit, mit der die Inder feilschen. Für Europäer lachhafte Argumente zählen hier alles, werden häufig bekräftigt und so lang wiederholt, bis man keine Lust mehr verspürt, dem faden Argument etwas entgegenzusetzen. Mit Humor kommt man leider auch nicht weiter. Alles scheint willkürlich zu sein und keinen festen Regeln zu folgen.
Ein Beispiel: im jetzigen Ort Margao bewohnen die beiden ein Appartement mit einer kleinen Küche. Dort war allerdings keine Pfanne vorhanden, was das freudige Kochen natürlich unheilvoll beeinträchtigt. Also fragten sie die „Manager“ nach einer Pfanne und bekamen zunächst die Antwort, dass diese umgehend zum Wohnort gebracht wird. Am nächsten Tag ist natürlich noch keine Pfanne in Sicht gewesen. Sie trotteten erneut zum Büro und brachten ihr Anliegen dar. Diesmal setzte sich direkt einer der beiden Angestellten in Bewegung und fuhr mit Sven im Schlepptau auf seinem Motorrad durch die Stadt, um kurzerhand eine Pfanne zu kaufen. Nach ein paar abgelehnten Exemplaren fanden sie ein annehmbares Modell, welches ohne Verpackung daherkam. Nach der Frage nach dem Preis holte der Verkäufer eine Schachtel hervor, auf der diese Pfanne mit zwei weiteren Küchenutensilien abgebildet war. Die Verpackung enthielt also ursprünglich drei Artikel. Der Verkäufer schaute sich die Abbildung an und nannte dann für die einzelne Pfanne den Preis, der dort zu sehen war. Sven musste lachen und auch der Manager regte sich auf. Sie wollten sicherlich nicht den Preis, der für alle drei Artikel ausgezeichnet war, für die einzelne Pfanne bezahlen. Der Verkäufer jedoch bestand auf seinem Recht, behauptete, dass alle drei Gerätschaften wohl kaum in diesen Karton gepasst hätten und ging partout nicht mit dem Kaufsumme herunter. Erst nach einer langen Diskussion unter den zwei Einheimischen einigte man sich auf einen immer noch unverschämten Preis und konnte endlich die ersehnte Pfanne mitnehmen.
Zurück zur Weiterreise nach Ooty. Um vier Uhr am Nachmittag fuhr der Zug los. Sie hatten Plätze im Schlafwaggon und konnten somit abwechselnd in das Land der Träume verschwinden. Um 22:30 Uhr kamen sie dann in Coimbatore, der Zwischenstation nach Ooty an, verrichteten ihre Notdurft in einem Hotel am Bahnhof und ließen sich anschließend mit einer Rikscha zum sechs Kilometer entfernten Busstand fahren. Eine Stunde später startete der Bus nach Ooty mit ohrenbetäubender Musik, der sie nun weitere drei Stunden lang ausgesetzt waren. Wahrscheinlich hatte der Busfahrer etwas Angst, einzudösen und brauchte deshalb musikalische Ablenkung. Um 03:00 Uhr am Morgen kamen sie im kalten Ooty an, verbrachten ein paar Stunden auf der Isomatte am Busbahnhof und tuckerten endlich zur abgelegenen Unterkunft mit dem herrlichen Namen „Signature Inn“. Dort angekommen, wurden sie zunächst in ein ungereinigtes Zimmer verfrachtet, da die Check-in Zeit erst um 12:00 Uhr erreicht war. Also vertrieben sie sich wiederum die Zeit und fielen dann, schließlich im richtigen Zimmer, in den erlösenden Schlaf. Man kann sich vorstellen, dass an diesem Tag nicht mehr viel passiert ist.
Dafür war der darauf folgende Tag wieder erlebnisreicher, denn die Stadt wollte erkundet werden. Der erste Stop galt dem schön angelegten Rosengarten. Auf vier Ebenen verteilten sich die Geschöpfe und konnten ausgiebig begutachtet werden. Für regelmäßige Lacher sorgten die putzigen Namen der gepflegten Pflanzen. Von “Sweet Surrender“, “Happy Days“, “Rendezvous“ und “Panorama Holiday“ über “Bridal Bush“, “Baby Blanket“ und “Funny Girl“ bis hin zu “Polarlight“, “Brunch“, “Rock n Roll“ und “Eskimo“ war für jeden Geschmack etwas dabei. Nach diesem erheiternden Rundgang spazierten sie zum Fleischmarkt, der mit Kuriositäten nicht geizte. Sven erfreute sich vor allem an den „Hackern“ (Leute, die den lieben langen Tag Fleisch mit einem Megamesser zerhacken). Es gab jede Menge Fleischstücken, Felle und Schlachtreste zu bestaunen, weiterhin tote Hühner, die über den lebenden hingen, aneinandergereihte Ziegenköpfe und Fliegen über Fliegen. Direkt daneben fanden die Deutschen den Obst- und Gemüsemarkt und kosteten Zucker, der wie Seife aussah, außerdem salzigen Puffreis und trockenes Gebäck, das ganz nach sächsicher Art in den Tee „geditscht“ wird. Typisch für Ooty ist auch die Schokolade, was sicherlich an den angenehmen Temperaturen liegt. Leider ist diese nicht so zart schmelzend, wie etwa Nougatschoki in Deutschland, aber trotzdem waren die beiden natürlich dankbar über den unvergleichlichen Geschmack auf der Zunge. Eine weitere Spezialität ist der Tee, der in Ooty und der gesamten Gebirgsregion angebaut wird. Eine überzeugende Kostprobe findet man an jeder Ecke.
Die letzten beiden Tage in Ooty verbrachten die Reisenden in einem Hotel in der Stadt, was den Vorteil hatte, dass sie am Tag der Abreise direkt zum Bahnhof laufen konnten. Geplant war das zwar nicht, denn eigentlich wollten sie schon abreisen. Allerdings war der Zug nach Goa so überfüllt, dass sie sich für die spontane Verlängerung und die gesicherte Weiterreise entschieden. Für den Sonntag buchten sie tatsächlich eine Touristentour, um den nicht sehr weit entfernten Mudumalai Nationalpark zu sehen. Für nur 13 Euro konnten sie zusammen den Tag genießen, sich im Kleinbus chauffieren lassen und mehr oder weniger spektakuläre Attraktionen bestaunen. Im Nationalpark entdeckten die sensationslustigen Touristen bedauerlicherweise nur Wild, einen Wasserbüffel und Elefanten, die als Haustiere gehalten werden. Von wilden Elefanten, Bisons, Faultieren, Panthern oder gar Tigern keine Spur. Nichts desto trotz genossen alle Beteiligten die Rückfahrt durch die hohen Berge und den alles untermalenden Sonnenuntergang.
Zuletzt, nach fast 24 Stunden unterwegs sein, ebenso vielen Mückenstichen und Begegnungen mit Ratten im Zug, fanden sie sich im nächsten Touristenort ein. Der Bundesstaat Goa an der Westküste Indiens ist für seine schönen Strände bekannt. Hier werden die Tage bis zum folgenden Dienstag wie im Urlaub verfliegen. Neben der “German Bakery“, die Schokocroissants und Käsekuchen anbietet, machen die vielen Supermärkte und Spirituosenläden mit Wein und Bier den Aufenthalt noch angenehmer. Drei Sonnenuntergänge konnten Deborah und Sven schon am Strand erleben, wahrscheinlich kommen noch vier weitere dazu. Hier ist der Treffpunkt des Tages nicht 20:00 Uhr auf der Couch für die Tagesschau, sondern 18:00 Uhr am Strand zur Verabschiedung der Sonne. Jedes mal wunderschön!
10 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Hallo ihr Lieben,
Es ist schon wieder Sonntag und wir haben mit Interesse euren neuen Beitrag gelesen.
Ein sehr schönes Bild von der Teeplantage. Herrliches Grün, gute Aufnahme!
Vati ist besonders vom Fleischmarkt begeistert, von Hygienevorschriften keine Spur! 😉
Mir gruselt jedes mal wenn ich eurer Zusammenleben mit den Ratten höre. Sie übertragen so viele Krankheiten und ich finde sie so furchtbar. Puh 🙁
Euch noch schöne Sonnenuntergänge bis zur Weiterreise. Wir in der Ferne genießen heute einen wunderschönen Herbsttag. LG Eure Nötzi`s
Vielen Dank für den lieben Kommentar! Ja die Teeplantagen waren super und der Tee hat auch noch lecker geschmeckt! 😉 Wir gönnen euch das schöne Wetter.
Hallo ihr zwei Weltenbummler, habe mir grade mal die Zeit genommen und alles verpasste durchzulesen. Ist alles sehr schön und spannend. Ich glaube, ich hätte auch ein Problem mit der Hygiene und dem Nahrungsangebot, aber ihr macht das schon. Wir wünschen euch noch viele schöne Erlebnisse und Eindrücken. Bleibt bitte gesund. Liebe Grüße von Ramona und Jörg.
Hey schön von euch zu hören und super, dass ihr mit dabei seid! An die Hygiene gewöhnt man sich (Dreck reinigt den Magen) 😀
Was ist an dem DANGEROUS PLACE denn dagerous, liebe Debi?
Eigentlich nichts, liebe Mutti. Nur bei dem aggressiven Selfie-Verhalten der Inder könnte einem angst und bange werden 😉
Hallo ihr beiden,
viele Grüße aus Chemnitz in das ferne Indien. Vielleicht erinnerst du dich, Sven, noch dunkel an mich. Habe in jüngeren Jahren schöne Zeiten mit deinen Eltern verbracht. Ich denke gerne daran.
Ich selbst habe beruflich gelegemtlich in Asien zu tun und kenne die Gegend um Chennai recht gut.
Ebenso diese Gegensätze und das überwältigende Anderssein. Diese erfrischend wissbegierigen jungen Menschen und gleich daneben die erschreckende Rückständigkeit. Kaum glaubt man einen kleinen Einblick in die Lebensweise der Menschen bekommen zu haben, schon muss man feststellen, dass doch alles ganz anders ist.
Jedenfalls meinen Glückwunsch zu eurem Entschluss etwas von der Welt zu sehen, den Horizont zu erweitern. Und natürlich auch zu eurem Entschluss euer Leben gemeinsam zu verbringen.
Ich werde weiterhin eure Reise mit großem Interesse und ein klein bisschen Neid verfolgen.
LG von Micha und Petra.
Hallo Micha, klar erinnere ich mich an dich! Super dass du auf unserer Seite vorbeischaust. Es beruhigt uns immer zu hören, dass auch andere Leute das Land ähnlich empfinden 😉
Vielen Dank auch für die Glückwünsche und ebenfalls beste Grüße nach Chemnitz zurück!
Hi hier der Paps, schöne Tage scheint ihr zu haben,freu mich!
Curry mit Reis wäre wieder mal dran! Haltet euch gesund!
Wünsche weiterhin Bewahrung!
Hi Paps, danke für deine Nachricht! Sven ist unser “Reisfresser”, er isst fast jeden Tag Reis und merkt es gar nicht, wenn er sich schon wieder welchen bestellt hat 😉 Wir hoffen, dass es euch gut geht?! Gottes Segen auch euch!