

Wechselhaft.
Großstadt, Kleinstadt, Strand und Regen,
Sonne, Lachen, Palmenblatt
bitterernst, ja ihretwegen
Neugier, Abscheu und so satt.
Und schon wieder ist Samstag. Die Zeit verfliegt wie der Schweiß rinnt, mal schnell und unaufhaltsam, mal ausdauernd und klebrig. Sind sie auf unliebsamen Wegen mit zuckelnden Zügen oder ruckelnden Rädern unterwegs, kann der imaginäre Sekundenzeiger noch so rennen, die Stunden dauern trotz gutem Ausblick endlos an. Bei schönen Unternehmungen, gutem Essen oder auch ganz allgemein sind die Tage diskussionslos an ihre 24 Einheiten gebunden. Aber wer kennt das nicht?!
Genauso wechselhaft sind die Menschen, die sie treffen. Bei ihren letzten drei Unterkünften hatten sie immer großes Glück. Zum Empfang gab es ein Lächeln, Trägerservice und mancherorts sogar einen Tee. Selbst den Roller vom Vermieter durften sie leihen, aber dazu später mehr. Auf Schusters Rappen ist sich dann jedoch jeder selbst der Nächste. Da wird gedrängelt, geschubst und gerufen, egal ob man nur eine Handtasche oder meterhohes Gepäck bei sich trägt. Niemand fragt, niemand steht auf, niemand bietet an – niemand hilft. Leider muss dies auch für Einheimische festgestellt werden, denn selbst wenn ein älterer Mensch ganz offensichtlich eine helfende Hand benötigt, wird meist nur zugeschaut.
Am Dienstag waren die beiden beispielsweise mit ihrer Gepäcklast zu Fuss unterwegs zum Bussstand von Madurai. Da der Weg nicht sehr weit war und die Körper sich an steigende Entfernungen mit Gepäck gewöhnen sollen, wurden Zurufe von Autorikschafahrern für ein gutes Geschäft ignoriert. Was sie dann erlebten, war ziemlich unfassbar.
Viele Menschen am Rand lachten sie dafür aus, dass sie mit so viel Gepäck durch die Hektik der Straßen gejagt wurden. Auch bei dem einsetzenden Monsunschauer, der durch seine spontane Heftigkeit beide komplett durchnässte, waren spöttische Gesichter in der Mehrzahl. Sie kämpften sich schließlich bis zum Busstand vor, fragten sich nach dem richtigen Bus durch und sind nach einer falschen Auskunft endlich tropfend an einer Nische mit einem kaputten Rolltor angekommen. Dort warteten bereits ein paar junge Männer vor Bergen von Kisten auf den gleichen Bus. Ein Glück, dass noch etwas Zeit blieb, um in einer Ecke trockene Kleider anzuziehen. Plötzlich ratterte das Rolltor nach unten. Der Bus stand wohl bereit und die Männer nicht mehr da. Sven pfefferte das Tor in seiner Wut wieder hoch, wobei es sich auch noch unglücklich verkeilte. Sogleich kam der Besitzer dieses Verschlages und wies auf sorgsame Behandlung hin. Kopfschüttelnd liefen sie zum Bus und wollten nun ihre großen Rucksäcke in der unteren Etage verstauen. Dort war durch die ganzen Kisten für kleine Dörfer, an denen sie vorbeikommen sollten, kein Platz mehr. Also nahmen sie das Gepäck mit in den Sitzbereich. Natürlich war es dort im Weg und musste letztendlich den Gang versperren. Aber das störte die Inder ebenso wenig wie die laute Musik von einzelnen Passagieren oder die ständigen Umwege und Stops für die Fracht. Acht Stunden später kamen sie gerädert in Ernakulam an der Westküste Indiens an, nahmen die Fähre nach Kochi und verarbeiteten die vergangenen Stunden in der neuen Unterkunft mit etwas Schlaf.
Die Tage zuvor in Madurai sind schnell zusammengefasst: man stelle sich nur eine turbulente Großstadt, einen beeindruckenden riesigen Tempel, die heisse Sonne und leckeres Essen vor. Hinzu kommen Eindrücke von einem kleinen Festival mit Licht und Tanz und neue massgeschneiderte indische Kleider.
Dann in Kochi nahmen sie die zunehmende Sauberkeit und die etwas kühleren Temperaturen gern entgegen. Die Kleinstadt wird durch die Nähe zu den Backwaters, den Kanälen und Seen vom Bundesstaat Kerala, von Touristen bestimmt. Manche Konsorten dieser Gattung kommen offensichtlich für einen weiteren Zweck hierher. So entdeckten die beiden einen jüngeren Kellner, der sie wenige Minuten zuvor noch in sein Lokal locken wollte, an der Strandpromenade mit einer hellhäutigen Touristin bei unverschämten Fummeleien. Den Rest dazu kann man sich wahrscheinlich denken. Außerdem waren viele Verkäufer sehr penetrant, was in einem Fall glücklicherweise zu einer kostenlosen Rikschafahrt und einem Liter Benzin für den Fahrer führte. Nach dem typischen Satz „Rikscha Sir, Rikscha Madam?“ und der Antwort des Kopfschüttelns ihrerseits, kam der Fahrer ein Stück des Weges und erklärte ihnen, dass sie ihm helfen könnten und sich eine kostenfreie Fahrt verdienen, wenn sie sich zu einem bestimmten Kunsthandwerksladen chauffieren lassen. Der Hintergrund? – der Rikschafahrer bekommt für jede abgeladene Fuhre Touristen einen Liter Benzin für sein Gefährt. Kurzerhand entschieden sie sich für den Deal, schlappten eilig durch den Laden und wurden zum nächsten einheimischen Lokal zum Essen gefahren. Gut so, denn ein neuer Schauer bahnte sich gerade an.
Vorgestern war wieder ein Umzug angesagt, es ging nach Alleppey. Dieser Ort liegt noch etwas weiter südlich und ist mit den Backwaters bestens verbunden. Mit Rikscha, Bus und Fähre erreichten sie irgendwann ihre Unterkunft am Strand, die sich erhaben „Hilton Residency“ nennt. Am Abend genossen sie den Strand und ein gut gewürztes Curry, lasen ihre Bücher, bis die Augen schmerzten und träumten schonmal vom Frühstück am kommenden Morgen. Im Handumdrehen war eben dieses nach der Bestellung zubereitet und wurde in den privaten Räumen des Vermieters verspeist. Es gab Chapati (ungesäuertes Fladenbrot), ein großzügiges Omelette mit Tomaten-Zwiebel-Mix und einen supersüssen Chai. Dermaßen gestärkt wollten sie ursprünglich zum Bahnhof laufen, um Tickets für die Weiterfahrt klar zu machen. Der Vermieter bot ihnen aber zunächst an, zumindest eine Person auf dem Roller mit zum Bahnhof zu nehmen, da er sowieso dorthin wollte. Als er merkte, dass sie wegen unterschiedlichen Optionen lieber zusammen Tickets kaufen wollten, fragte er, ob Sven sich das Rollerfahren zutraut. Nach einer kurzen Abnahme der Fähigkeiten durch eine gut beobachtete Probefahrt nickte er nur und sie tuckerten durch Pfützen und Schlamm im Linksverkehr bis zur Bahnstation.
Dort hörten sie sich am Reservierungsschalter die verschiedenen Möglichkeiten des Transportes an und beratschlagten die beste Lösung. Der Verkäufer schaute im Computer nach den geforderten Zügen und schüttelte immer wieder mit dem Kopf. Alles ausgebucht, es besteht eine Warteliste. Na gut, dann eben zu einer anderen Zeit? Auch keine Chance. Selbst eine Fahrt in mehr als einer Woche in der Zukunft konnte durch die allgegenwärtigen Wartelisten nicht gebucht werden. Was nun? Ihnen blieb nur noch der Bus, denn ein Taxi kam durch den hohen Preis natürlich nicht in Frage und ob man mit dem Zug ohne Ticket fortkommt, kann niemand sagen. Sie brachten zunächst den Roller wieder nach Hause, nahmen sich dann eine Rikscha bis zum Busstand und fragten auch dort. Die Auskunft für Abfahrtszeiten konnte zwar erteilt werden, aber ob der Bus voll sein würde oder nicht, ist auch hier nicht klar. Tickets sind erst im Bus erhältlich. Dann müssen Deborah und Sven sich wohl überraschen lassen.
Zur Fähre war es vom Busstand aus nicht mehr weit. Dies ist die günstigste Art, die Backwaters etwas zu entdecken. Zudem werden noch Kanus, Touristenfähren und Hausboote angeboten. Durch die abartigen Preise letzterer, die genau die gleichen Kanäle entlang schippern, war die normale Fähre genau das Richtige. Es ging eine Stunde hin und eine Stunde zurück mit Sonne, Wolken und Regen. In schönen kleinen und großen Kanälen und Seen mit bewohnten Häusern an den Ufern, Wäsche waschenden Hausfrauen und angelnden Männern konnten sie die Seele baumeln lassen und den reichen Touristen beim Essen, Glotzen und Feiern zuschauen.
Wieder am Ausgangspunkt angekommen, besuchten sie noch einen Supermarkt, obwohl sie eigentlich nichts benötigten. Denn Supermärkte sind sehr rar und meist sogar etwas billiger als die kleinen Läden an den Straßen. Mit etwas Obst, Saft und Toilettenpapier bestückt ging es zurück zur Unterkunft.
Und innerlich? Je nach Situation, Klima und Menschen fühlen sie sich mal mehr, mal weniger wohl und willkommen. Wechselhaft, wie der Mensch nun mal ist.
Morgen wird es spannend bei der Fahrt nach Ooty. Keine Tickets, keine Direktverbindung, keine Garantie und lange Wartezeiten, Regen und Gebirge werden die Weiterreise wohl beeinflussen. Dann drückt mal die Daumen!
7 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
✊✊✊ Wir drücken euch die Daumen!
Eure Berichte sind immer so fesselnd geschrieben, dass man drumherum alles zu ignorieren beginnt 😅
Fühlt euch gedrückt! Ari&Martin
Danke Euch, das können wir gebrauchen 😉
Danke danke, wir geben uns Mühe 🙂
Drück zurück, Grüße!
Danke für den ausführlichen lebendigen Bericht, teils zum Schmunzeln, teils zum Mitleiden!
Stürmt den Bus!
Ich hab Euch lieb!
Eure Mutti
Hallo,
danke für euren Bericht. Ich wollte mal speziell auf die tolle Qualität der Bilder hinweisen, die mir als Schiff-Freund diesmal besonders aufgefallen ist (auch deshalb, weil es hier seit Tagen regnet und kalt und grau und trüb und windig und… ist). Weiter so! Danke auch für eure Karte vom 11.09., die gestern angekommen ist. “Erster Kommentar – erste Karte.” Darüber habe ich mich fast kaputtgelacht. Sehr schön. Grüße von vier Reppes
Na ihr Lieben, vielen Dank für das Feedback!
Da freuen wir uns ja, wenn die Karte überhaupt angekommen ist, wir waren uns nicht so sicher 😉
Neue Bilder gibt es jetzt auch in der Bildergalerie von Sri Lanka.
Ganz liebe Grüße!
Für euer mutiges Unternehmen viel Durchhaltevermögen und Verarbeitungskraft. Liebe Grüße aus der Heimat von eurer Oma Irmgard
Hallo liebe Oma,
das ist ja schön, von dir zu hören! Wir freuen uns, wenn du ab und zu mitliest.
Alles Gute auch für dich!
Debbi und Sven