

Drei knatternde Kultmotorräder und jede Menge Adrenalin
Lieber Leser (natürlich sind auch alle weiblichen Leserinnen gemeint), mach Dich auf etwas gefasst. Du wirst Zeuge eines der größten Abenteuer im Leben der Protagonisten! Am besten kochst Du dir schnell einen warmen Tee oder Kaffee, schnappst Dir ein paar Kekse dazu und kuschelst Dich für die nächsten zwanzig Minuten in eine gemütliche Ecke. Dann beginnst Du zu lesen und zwar dies hier:
Es knattert und rattert, die Räder rollen unermüdlich, der Wind pfeift. Die wachsamen Augen suchen die Straße nach eventuellen Unebenheiten ab. Jedes Loch und jeder Stein kann dem Vorderrad gefährlich werden. Aus der nächsten Kurve rauscht ihnen mit bahnbrechender Geschwindigkeit ein Bus entgegen. Sie können sich nicht mehr auf der schmalen Asphaltspur halten und müssen in den sandigen Schotter am Rand der Straße ausweichen. Bremsen, Hupen, Weiterfahren. Wieder einmal ohne Blessuren geschafft. Nahezu jede Begegnung mit dem Gegenverkehr ist eine heikle Angelegenheit. Durch die bergige Region, die durch ihre atemberaubende Schönheit mit den weissen Wipfeln, dem blauen Himmel und den kargen Hängen erstes Ziel der drei Biker war, sind kurvige Strecken an der Tagesordnung. Schotterstraßen, Asphaltstrecken, beides im schnellen Wechsel, Abhänge ohne Sicherung, Pfützen, Flüsse, Schlamm und Staub. Und einmal sogar Eis.
Zum Glück hatten sich die drei Abenteurer dazu entschieden, die Motorradtour um zwei Wochen vorzuziehen. Denn jetzt wird es kalt in den Höhen der Himalaya-Region. Mit jedem weiteren Tag steigt dort die Wahrscheinlich für Schneefall oder Schneeregen. Dabei sind sie in Delhi mit kurzen Hosen gestartet, haben sich, da Deborah auf ihrer roten Royal Enfield im indischen Monsterverkehr noch sehr unsicher war, mit einem Guide bis zum ruhigeren Highway bringen lassen und anschließend den Fahrtwind bei 80 km/h noch circa eine Stunde genossen. Dann war es am ersten Tag der Tour schon dunkel geworden, denn nach dem mehrstündigen Ausleihen und Checken der Bikes kam das schwere Gepäck auf die hinteren Sitze. Bei „Mams Bike“, wie die Mechaniker die Frauenbesetzung nannten, führte die Gepäcklast genau wie bei den beiden männlichen Fahrern zu einem unerträglichen Schlingern des gesamten Vehikels. Der erste Fahrversuch mit der außerordentlichen Fracht brachte beim nächstbesten Stillstand das rote Gefährt zum Umkippen und den Oberschenkel der „Mam“ zur bläulichen Verfärbung. So drehten sie nochmal um, packten bergeweise Wäsche und für die nächsten beiden Wochen unnützen Kram aus und verstauten dies bei den professionellen und sehr netten Leuten der Ausleihfirma. Auf dem Highway konnten sie sich nach einer kurzen und nicht sehr luxuriösen Nacht noch einen weiteren Tag mit den Zweirädern anfreunden und viele Kilometer schrubben. Immer in Richtung der Berge. Zuerst hatten sie die Route nach Leh im hohen Norden Indiens auf dem Plan. Dort wollten die drei die höchsten Pässe der Welt befahren. Durch den kommenden Winter waren aber die meisten Straßen und Pässe nach Leh schon geschlossen. Demnach war Zeit für Plan B, welcher das Spitital vorsah. Natürlich bedeutet „Tal“ im Himalaya immer noch eine Höhe von 2000 bis 3800 Metern. Adrenalin und Abenteuer waren also vorprogrammiert. Die beiden nächsten Tage brachten die Gruppe näher an die Berge, die Straßen wurden erheblich schlechter, die geschafften Kilometer am Tag weniger und die Routen länger. Immer häufiger wurden die unteren Gänge geschalten, die Bremslichter leuchteten, die Motoren heulten auf. Kleine Erfolge nach ersten Schotter- und Staubpisten, Berganfahrten und Vollbremsungen wurden mit einem Lächeln und regem Austausch bei kurzen Pausen gefeiert. Enge und weite Kurven auf Asphaltstraßen erhöhten den Spaßfaktor.
Erstaunlicherweise hatten sie keinerlei Probleme beim Auffinden von Übernachtungsmöglichkeiten. Wenn sich die Sonne dem Horizont langsam näherte, hielten sie nach geeigneten Unterkünften Ausschau, schauten sich die Zimmer an und verhandelten hart um den Preis. Sagte es ihnen nicht zu, fuhren sie noch ein Stück weiter und hatten dann schnell etwas passenderes gefunden. Auch die Verpflegung war selbst in den dünn besiedelten Orten der Berge sehr ausreichend, vielseitig und schmackhaft, obwohl etliche Hotels und Restaurants wegen der Kälte schon geschlossen waren. Ein Hotel lag etwas über ihrer Preisvorstellung, auch nachdem der sehr freundliche Besitzer ihnen gut entgegen gekommen war. Zum Weiterfahren war es schon zu spät und weitere Unterkünfte würden erst nach einer halben Stunde Fahrt auftauchen. Sie blätterten die 500 Rupie über ihrem Budget hin und wurden dann darauf hingewiesen, das Gelände für das Abendessen bestenfalls nicht mehr zu verlassen, da durch die anstehenden Wahlen unangenehme Fragen an Ausländer gestellt würden. Sie befolgten den Rat und fragten nach den Preisen für ein Essen im Hotel. Wie zu erwarten war, wurden selbst für einfachen Reis und Curry allerhand Rupie verlangt. Sie haderten mit sich, beratschlagten hin und her und bekamen schließlich vom Besitzer das Angebot, sich Essen servieren zu lassen und dann den Preis zu zahlen, den sie sich vorgestellt haben. Dankbar nahmen sie sein großzügiges Entgegenkommen an, aßen und zahlten gut, bevor sie erschöpft in die Betten fielen.
Der nächste Tag brachte einen Ausflug zu den heissen Quellen von Manikaran mit sich. Das Ziel war in einer Tagesetappe zu erreichen und wurde ihnen wärmstens empfohlen. Zwar mussten sie viele Kilometer den gleichen Weg wieder zurück fahren, konnten sich aber gut vorstellen, dass es sich lohnen würde. Am Abend dann endlich angekommen, besuchten die drei die Quellen und das buddhistische Kloster des Ortes, aßen zur Abwechslung Pizza, Nudeln und Pancake zum Abendessen und machten in der Nacht langsam Bekanntschaft mit der Kälte der Berge. Etwas enttäuscht von dem doch eher unscheinbaren Ort zogen sie am nächsten Morgen das Gas umso mehr an, um die Strecke bis Manali gut zu schaffen. Durch die Kilometeranzeige auf der Karte des Handys konnten sie die Abschnitte zwar etwas einschätzen, aber Straßenbedingungen und Zwischenfälle waren gewiss noch nicht eingeplant. Manchmal verloren sie viel Zeit durch Staus oder Bauarbeiten. Letztere zeigten sich oft durch das Asphaltieren von marode gewordenen Straßen, das unerklärlich indisch verlief und angeblich nur zehn Minuten andauern sollte. Eine Stunde später war die Weiterfahrt dann endlich frei und sie konnten über den gerade so befahrbaren Asphalt weiter düsen.
Die nächste Station, Manali, eine Kleinstadt auf 2000 Metern Höhe, die Ausgangspunkt für viele Touren in die Bergregionen und über die Pässe ist, hieß sie mit einem gemütlichen Zimmer und einer Deutschen Bäckerei willkommen, in der sie beinah Dauergäste waren. Dort schmeckte nicht nur der Apfelkuchen und die Nutellacroissants, sondern auch die Sandwiches mit Ei und vor allem der Kaffee. Für zwei Nächte blieben sie in Manali, erfragten sich bei unterschiedlichen Reisebüros die Straßenbedingungen der Pässe und entschieden sich für einen Tagesausflug mit zwei Motorrädern zum Rohtang Pass. Dafür brauchte jedes Gefährt eine Erlaubnis, die sich die Deutschen am Morgen noch besorgen konnten. Den kleinen Preis konnten sie verkraften, ließen sich die Genehmigung in einem Copyshop ausdrucken und brausten los. Tatsächlich benötigten die Biker den gesamten Tag für den Ausflug, kurvten die Serpentinen bis zur elendig kalten Passspitze empor, wo trotz des stechenden Windes der atemberaubend schöne Ausblick nicht getrübt werden konnte. Weisse Berge reihten sich aneinander und der blaue Himmel überdeckte das kahle Szenario mit freudiger Klarheit und einer langsam schwacher werdenden Sonne. Mit der kommenden Dunkelheit zogen sie sich in das Tal zurück und mussten ganz schön auf die Tube drücken, um noch bei etwas Licht in der Stadt zurück zu sein.
Die folgenden Tage wurden genutzt, um die Orte Rekong Peo, Nako und Kaza zu besuchen, wobei es immer kälter wurde und immer höher hinauf ging. Manchmal war die Motivation am Morgen recht gering. Da es keine Heizung gab und bei fünf Grad im Zimmer nicht gut Kirschen essen war, gingen sie nach dem Abendessen sehr zeitig ins Bett, quälten sich frühs recht schnell in die kalten Klamotten und wuschen sich mit Eiswasser das Gesicht. Die Wasserversorgung war durch gefrorene Rohre eingeschränkt. Die Toilette mussten sie mit Eimern spülen und das Wasser zum Waschen vom Eis befreien. Dann bepackte jeder seine Enfield und startete, manchmal sehr mühsam, den müden Motor. Nach etwas Fahrt suchten sie sich ein Frühstück mit warmem Tee, Omelett und Toast oder regionalen Parantha (etwas fettige Teigfladen mit verschiedenen Füllungen, meist mit Kartoffel).
Die Spitirunde konnten sie durch geschlossene Straßen nicht komplett beenden und fuhren von Kaza über Nako wieder zurück bis nach Shimla. Alle drei waren sehr froh über die milderen Temperaturen und zogen nach und nach die in Delhi gekauften warmen Sachen wieder aus. In Shimla war die Hotelsuche sehr schwierig. Die Preise waren hoch, der Service niedrig und die Zimmer nicht gerade schön. In ihrem Ehrgeiz geweckt, dauerte es schließlich geschlagene drei Stunden, bis sie in dem Überangebot an Hotels eine Bleibe für die Nacht gefunden hatten, die relativ ordentlich und erschwinglich war. Sie aßen dann gleich noch ein Ei-Curry mit Reis und Chapati bzw. ein Byriani zum Abend, duschten ausgelassen mit heissem Wasser und lasen bis zum Traumübergang.
Tags darauf durchfuhren sie eine ewig lange Baustelle, wobei sie sich erneut im indischen Verkehr behaupten mussten. Wahnsinnig ungeduldig wurden sie von hinten angehupt, obwohl der Fahrer im Rückspiegel genau sah, dass auch die Motorräder durch den dichten Verkehr nicht weiterfahren konnten. Nach dem Verständnis der Inder ist der hupende Fahrer derjenige, der einfach losfahren kann. Er hat sich ja bei dem anderen angemeldet. Und der andere muss kuschen und das möglichst schnell! Von Shimla kamen sie zügig wieder auf die Schnellstraße, die zurück nach Delhi führte. Von der rasenden Geschwindigkeit vibrierten die Beine bei der Essenspause und die Herzen pochten stark von manch bedrohlichen Situationen. Große Laster, die einem auf der Schnellstraße plötzlich entgegen kamen, Menschengruppen, die die Straße kreuzten, Kühe und Hunde und funkend zerspringende Stromleitungen. Dazu noch drängelnde wahnsinnige Inder und Fahrräder, Karren und Fussgänger. Nach 16 Tagen und über 2000 Kilometern kamen sie der Hauptstadt wieder näher und fanden sich schnell im irrsinnigen Straßenverkehr von Delhi wieder.
Sie standen an der Ampel, glücklich, noch zu dritt beisammen zu sein. Nach gefühlten fünf Minuten wurde es endlich grün. Sven fuhr los, Deborah betätigte ihre Hupe, um das Auto vor ihr zum Losfahren zu bewegen und merkte, wie ihr Motor wieder ausging. Die Sicherung war durchgebrannt, wie schon öfter zuvor, verursacht von ein paar Stunden Regen. Sie brüllte „Stop“ in Sven`s Richtung, er hörte sie aber nicht und er überquerte die Ampel, auf den massigen Verkehr achtend. Jano kümmerte sich sofort um die Sicherung, wobei beide am Rand der großen Straße feststeckten. Wieder startklar mussten Deborah und Jano eine weitere Ampelphase abwarten. Sven war natürlich weg. Es wurde grün und die Geradeausspur verwandelte sich schlagartig in eine Rechtsspur, was zur Folge hatte, dass die beiden fast umgefahren wurden, nur um geradeaus weiterfahren zu können. Eine weitere Stunde dauerte die turbulente Fahrt durch die Megastadt. Es ging um Leben und Tod. Stillstand war nicht selten. Sobald zehn Zentimeter Platz waren, kamen von hinten, rechts und links andere Zweiräder, Autos, Busse und LKW. Nicht nachgeben, nicht bremsen, einfach drauf los fahren. Dann plötzlich Pfützen. Ein Auto erwischte Deborahs Bike, sie konnte sich nicht mehr halten und fiel mitten in der Pfütze gegen ein anderes stehendes Auto. Dermaßen eingeklemmt konnte sie sich kaum bewegen. Der Fahrer des Autos machte nur kurz die Tür auf, schaute sie an und knallte die Tür wieder zu. Ein Rollerfahrer half ihr dann schnell, das Motorrad wieder aufzuheben, sie stand sicher, bedankte sich bei ihm und er streckte den Daumen nach oben. Weiter ging es bis zum ehemaligen Startpunkt, den sie dann auch bald erreichten. Sven wartete geduldig mit Chips und Cola, auf seiner Enfield sitzend.
Sie hatten es geschafft. Gute zwei Wochen Himalaya und dichter Verkehr in großen und kleinen Städten mit Kultmotorrädern, extremen Temperaturen, wahnwitzigem Linksverkehr, Felsabhängen, extrem schlechten Straßen, kleinen Unfällen und knappen Situationen in jeder Minute. Aber auch mit Sonne, Freude, Adrenalin, extrem schöner Landschaft, tollen Begegnungen, gutem Essen, ausgetesteten Grenzen, Gottes Bewahrung und bestimmt einer halben Stunde in Tibet. Es hat sich definitiv gelohnt!
12 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Mega spannender Beitrag. Man kann es sich sehr gut vorstellen wie es euch bei eurem Abenteuer ergeht. =)
Wir lesen immer gespannt eure neu gemachten Erfahrungen! Weiter so! Seid alle ganz lieb gegrüßt. Viele Grüße Benny & Sandra
Danke 😉 Wir freuen uns immer über Leser und Kommentare! Euch auch schonmal eine schöne und ruhige Adventszeit, nascht nicht zu viel Süßes 😁 Ganz lieben Gruß!
Debbie du Powerfrau!!!! Echt mega mutig!! Aber das hat sich ja beim Trabifahren schon gezeigt 😉 Eine wunderschöne Weiterreise!
kleene – du auf so ner kiste – an den anblick könnt ich mich gewöhnen 😀 coole aktion!
super!!
Kleene, Du bist verrückt!
Es hat mir super viel Spaß gemacht, war sicherlich nicht das letzte Mal! 😀
Das kann ich mir gut vorstellen!
Ihr seid super! Wo seid ihr? Wir haben Indien verlassen, der Kuzumpass war dann zu und nach Kaza kehrten wir um. Wir sind in Kambodscha, noch 3 Wochen, dann wieder Berlin. Viele Grüße von Melanie und Franz
Hey spannend zu hören, dass wir dem Schnee nur um Haaresbreite entkommen sind ;)! Schade, dass Ihr den gleichen Weg zurück musstet, hat es sich denn trotzdem gelohnt? Auf Kambodscha freuen wir uns auch schon sehr. Habt ihr da einen Geheimtipp? Viele Grüße aus Nepal
Bringt euch nicht um mit den Karren, habe gestern die Royal Enfield kennengelernt, steht in Elstra im Moped- Haus.
Ist ja zum Glück alles gut gegangen! Wie war die Probefahrt? 😉